Gotteszahl
anzeigte. Rasch schaltete sie den Drucker ein. Als das kratzige Geräusch ihr mitteilte, dass ihr Dokument gedruckt wurde, trottete sie zum Fenster und riss es sperrangelweit auf.
Sie schloss die Augen in der scharfen Kälte.
Die Bibel, dachte sie.
Sie war nicht einmal sicher, ob sie ein Exemplar hatten. Der Koran stand immerhin in Yngvars Bücherregal, das wusste sie. Er bestand darauf, im Schlafzimmer sein eigenes Regal zu haben, fünf Meter einer merkwürdigen Büchermischung. Hier stand die Heilige Schrift als Prachtausgabe des Buchclubs, daneben gab es Nachschlagewerke über Waffen und Wappenkunde, fast zwanzig Bücher über Pferde und Pferdezucht, eine uralte Ausgabe der Encyclopædia Britannica sowie alles, was je von Frode Øverli gezeichnet und veröffentlicht worden war. Ohne das Fenster zu schließen, ging sie vor dem Regal auf Yngvars Seite des Doppelbettes in die Hocke. Der Koran war leicht zu finden, die Ausgabe wies Goldschnitt und orientalische Muster auf. Daneben stand ein abgegriffenes Buch ohne Rücken. Als sie es vorsichtig hervorzog, fühlte der Einband sich spröde vor Alter an.
Die Bibel.
Langsam öffnete sie das Buch. Auf dem Vorsatzblatt stand in eleganter Handschrift »Für Yngvar von Oma und Opa, 16. September 1956«. Rasch rechnete sie aus, dass es der Tag seiner Taufe sein musste; Yngvar war 1956 am Johannistag zur Welt gekommen.
Sie schloss das Fenster zur Hälfte und klemmte sich beide Bücher unter den Arm. Mit dem Ausdruck in der einen und dem Laptop in der anderen Hand ging sie dann zum Sofa zurück.
Yngvars Bibel war eine Übersetzung aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts, wie sie im Impressum lesen konnte. Sie blätterte sich zum Brief des Paulus an die Römer vor und ließ den Finger über die Seite laufen.
24 . Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst.
Sie zögerte.
… zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst…
Bedeutet wohl, dass sie miteinander geschlafen haben, murmelte sie. Dann wanderten ihre Augen zu Vers 27.
Desgleichen auch die Männer haben verlassen den natürlichen Brauch des Weibes und sind aneinander erhitzt in ihren Lüsten und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst empfangen.
Obwohl sie ganz gut verstand, was das bedeuten sollte, klappte sie das abgegriffene Buch zu und stellte den Laptop auf ihre Oberschenkel. Daran hätte sie sofort denken sollen, statt in Yngvars Bücherregal zu suchen. Sie hatte das bisher nur einmal gemacht, und er war danach noch stundenlang sauer gewesen.
Sie brauchte weniger als zwei Minuten, um die Texte zu finden, hier jedoch in neuerer Übersetzung.
Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, sodass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten.
Das ist schon deutlicher, dachte sie und schüttelte kurz den Kopf.
Auch Vers 27 wurde im neuen Sprachgewand deutlicher:
Ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den gebührenden Lohn für ihre Verirrung.
Inger Johanne betrachtete sich als Agnostikerin. Das war für sie ein schöneres Wort als »gleichgültig«. Ab und zu hatte sie es bei der Arbeit mit Gläubigen zu tun, und sie versuchte immer, sich ihnen mit dem gebührenden Respekt zu nähern. Abgesehen von einem religiösen Flirt als Teenager hatte sie sich für Religion nie ernsthaft interessiert.
Jetzt war das anders.
In den vergangenen Monaten hatte sie intensiven Kontakt zu Religionen aufnehmen müssen. Texte wie der, den sie soeben gelesen hatte, machten ihr an sich keine Angst. Als Forscherin und Nicht-Gläubige setzte sie sie in einen historischen Kontext und fand sie in diesem Zusammenhang interessant. Als wortwörtliche Mitteilung mit Bedeutung für Menschen, die im Jahre 2009 lebten, fand sie die Worte des Paulus grauenhaft.
Wenn Karen und die Kanzlei APLC recht hatten und der Name »The 25’ers« sich wirklich auf diese Textstücke bezog, musste es sich um eine Organisation handeln, deren Aktivitäten sich direkt gegen Schwule und Lesben richteten. Und sonst gar nichts. Ohne Schnickschnack. Keine Gemeinde, keine Religionsgruppe.
Eine reine Hassgruppe.
Wenn es wirklich zutraf, dass ultrakonservative Christen sich mit radikalen Muslimen zu einer eigenen Organisation zusammengeschlossen
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