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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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entsetzliche Angst um die Kinder zu haben. Er würde wenig Verständnis dafür aufbringen, dass Inger Johanne sich Sorgen machte, weil ein wildfremder Mann den Namen ihrer älteren Tochter kannte. Außerdem konnte es sehr wohl der Nachbar gewesen sein, den sie im dicken Mantel und mit Mütze und Schal nicht erkannt hatte. Yngvar würde es jedenfalls behaupten, wenn sie ihm von der Episode erzählte, und dann würde die widerliche kleine Kälte zwischen sie treten und nachher das Einschlafen erschweren, allein, ohne andere Geräusche in der Nähe als Jacks Schnaufen und Furzen.
    »Nichts«, sagte sie und versuchte, ein Lächeln in ihre Stimme zu legen. »Höchstens, dass du nicht hier bist. Jack und ich sind allein. Ragnhild wollte bei Isaks Eltern bleiben.«
    »Wie schön. Isak ist aber auch großzügig. Er ist immer da …«
    »Als ob du mit seiner Tochter nicht genauso umgehst. Als ob …«
    »So war das nicht gemeint, Liebes. Ich bin froh, dass es ein schöner Tag für euch alle war und dass du einen Abend ganz für dich hast. Das passiert wirklich nicht sehr oft.«
    Sie stellte den Laptop auf den Couchtisch und zog die Decke enger um sich zusammen. »Du hast recht«, sagte sie und lächelte nun wirklich. »Es ist gar nicht so schlecht, allein zu sein. Mit Jack, meine ich. Mit seinem Futter stimmt übrigens irgendwas nicht. Er furzt so schrecklich.«
    Yngvar lachte. »Was machst du?«
    »Arbeite ein bisschen. Surfe ein bisschen. Trinke ein bisschen Wein. Sehne mich nach dir.«
    »Das klingt alles gut. Bis auf das mit der Arbeit. Es ist doch Weihnachten! Ich mache jetzt Feierabend. Bin verdammt müde. Morgen werde ich hoffentlich den Sohn der Bischöfin vernehmen können. Keine Ahnung, wie das gehen soll, er kann mich ja jetzt schon nicht leiden.«
    »Das kann doch nicht sein. Alle mögen dich, Yngvar. Und du bist doch der allerallerbeste Polizist auf der Welt.«
    Wieder lachte Yngvar. »Du darfst das aber nicht zu den Kindern sagen. Kurz vor Weihnachten standen wir im Supermarkt vor der Kasse, als Ragnhild im Einkaufswagen plötzlich aufstand und aller Welt mitteilte, ihr Papa sei der alleralleraller, ich glaube, sie hat zehnmal aller gesagt … beste Polizist der Welt. Peinlich. Alle haben gelacht.«
    »Sie hat doch recht«, sagte Inger Johanne. »Du bist der allerbeste von fast allem auf der Welt.«
    »Dussel. Gute Nacht.
    »Gute Nacht, mein Liebster.«
    Yngvars Stimme verschwand. Inger Johanne starrte eine Weile das Telefon an, als hoffte sie, er wäre noch da und könnte sie trösten. Dann stand sie langsam auf, legte das Telefon weg und trat ans Fenster. Die Mondsichel hing schräg über dem Nachbarhaus. Noch immer war der Boden bereift, aber der Himmel war klar, und es hatte schon die ganze Woche sensationelle Sonnenuntergänge gegeben. Endlich hatte Inger Johanne das Gefühl, schlafen zu können.
    Eine Frau starrte aus einem Fenster und wusste nicht, ob sie jemals wieder schlafen könnte. Vielleicht schlief sie schon. Alles war unwirklich und fremd, wie in einem Traum. Sie war in diesem Haus geboren, in diesem Zimmer, sie hatte immer hier gewohnt und aus diesem Fenster geschaut, das die Aussicht in vier Weltteile einteilte. So hatte ihr Vater es ihr als Kind erzählt, und sie hatte ihm jedes Wort geglaubt. Jetzt war alles verzerrt. An den Regen, der gegen die Fensterscheibe prasselte, war sie gewöhnt, es regnete oft, fast immer, es regnete in Bergen, und sie weinte und hatte keine Ahnung, was sie da sah. Ihr Leben war in Fetzen gerissen. Die Aussicht aus dem kleinen Haus gehörte nicht mehr ihr.
    Sie wusste es seit vierundzwanzig Stunden, einer langen Nacht und einem noch längeren Tag. In einer Ungewissheit, an der sie nichts ändern konnte. So wie ihr Leben einer Bahn gefolgt war, auf deren Verlauf sie keinen Einfluss hatte, so waren diese ewig langen Stunden des Wartens etwas gewesen, womit sie sich einfach abfinden musste. Es hatte keinen Ausweg gegeben, jedenfalls nicht, bis die Sprecherin im Fernsehen ihr das gesagt hatte, was sie im Grunde schon verstanden hatte, als sie vor genau vierundzwanzig Stunden vor dem Bildschirm aus dem Sessel hochgefahren war, mit einer Angst, die ihr die Kehle zuschnürte und ihre Hände zittern ließ.
    Sie hatte längst damit gerechnet.
    Sie hatte ihr ganzes Leben gewartet und sich daran gewöhnt.
    Diesmal war alles anders gewesen. Sie hatte etwas gespürt, was nicht wahr sein konnte, nicht wahr sein durfte, und doch hatte sie es gewusst, weil sie so lange auf diese

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