Gotteszahl
mit dem Bild der Bischöfin einbauen können. Er schrieb schnell eine Nachricht für den Produzenten.
»Schreib für Christian sofort einen Text«, befahl er dann der jungen Aushilfe. »Ganz kurz. Und überprüf noch mal bei der Nachrichtenagentur, dass es auch stimmt. Falsche Todesmeldungen brauchen wir nicht, auch nicht an einem neuigkeitsarmen Tag.«
»Was ist denn hier los?«, fragte Mark Holden, eines der innenpolitischen Schwergewichte des norwegischen Fernsehens. »Wer ist abgekratzt?«
Er riss den Zettel an sich, den die Aushilfe in der Hand hielt, und las ihn anderthalb Sekunden lang, ehe er ihn der jungen Frau wieder in die Hand drückte. Sie hatte nicht einmal richtig registriert, dass er ihn ihr weggenommen hatte.
»Wie traurig«, sagte Mark Holden, ohne auch nur einen Hauch von Mitgefühl in der Stimme. »So alt kann sie doch noch nicht gewesen sein? Sechzig? Zweiundsechzig? Woran ist sie gestorben?«
»Davon steht hier nichts«, sagte der Chefredakteur. »Ich hab nichts davon gehört, dass sie krank gewesen wäre. Aber jetzt muss ich mich auf die Sendung konzentrieren. Wenn du vielleicht …«
Er winkte den viel älteren Reporter beiseite. Sein Blick haftete an einem der Bildschirme in diesem großen Raum. Die Erkennungsmelodie ertönte. Alle Textzeilen liefen planmäßig über die Schirme. Die Sprecher waren zur Feier des Tages festlicher gekleidet als sonst.
Der Chefredakteur ließ sich im Sessel zurücksinken und legte die Beine auf den Tisch. »Stehst du noch immer da?«, fragte er die junge Frau. »Du sollst die Meldung über diesen Todesfall heute bringen. Nicht erst nächste Woche.«
Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Augen fast überliefen.
Ihre Hände zitterten. Sie holte Atem und rang sich ein Lächeln ab. »Natürlich«, murmelte sie. »Ich mach das sofort.«
»Hast du sie gekannt, oder was?«
Noch immer lag keinerlei Wärme in Mark Holdens Stimme. Nur Neugier und ein fast instinktiver Drang, über alles und an alle Fragen zu stellen.
»Ja, sie und ihr Mann sind mit meinen Eltern befreundet. Aber sie ist ja auch …«
Ihre Stimme versagte.
»Sie ist doch … war doch ziemlich beliebt«, sagte der Chefredakteur zögernd.
Er biss in einen Bleistift und stellte die Füße wieder auf den Boden.
»Lass mich«, sagte er und streckte die Hand nach der kurzen Notiz aus. »Lass mich die Meldung schreiben, und dann stellst du mit Archivbildern einen Bericht für die Sendung um neun Uhr zusammen. Eine Minute. So ungefähr. Okay?«
Die junge Frau nickte.
»Die Bischöfin von Bjørgvin, Eva Karin Lysgaard, verstarb gestern, am Heiligen Abend, unerwartet im Alter von 62 Jahren.«
Der Chefredakteur sprach laut, und seine Finger rasten über die Tastatur.
»Die Bischöfin stammte aus Bergen und war dort Studentenpastorin, ehe sie später Gefängnisseelsorgerin wurde. Für längere Zeit war sie dann Gemeindepfarrerin in Tjensvoll in Stavanger. Im Jahre 2001 wurde sie zur Bischöfin ernannt und machte sich seither bemerkbar als …
Er zögerte, schnalzte mit der Zunge und schrieb dann weiter:
»… Brückenbauerin in der Kirche, vor allem zwischen den Fronten in der umstrittenen Frage der Homosexualität. Eva Karin Lysgaard war in ihrer Heimatstadt beliebt, was nicht zuletzt deutlich wurde, als sie im Stadion einen Gottesdienst abhielt, nachdem der Verein Brann 2007 zum ersten Mal seit 44 Jahren die Fußballmeisterschaft gewonnen hatte. Bischöfin Lysgaard hinterlässt einen Mann, einen Sohn und drei Enkelkinder.«
»Musst du das mit dem Fußball wirklich erwähnen?«, fragte Mark Holden. »Wirkt ein bisschen unseriös in diesem Zusammenhang, oder?«
»Nicht doch«, sagte der Chefredakteur und schickte mit einem Klick die Meldung weiter an den Produzenten. »Das macht sich gut. Aber du, Mark …«
Mark Holden wühlte in einer großen Schale mit Schokokonfekt herum.
»Mm.«
»Woran stirbt man in diesem Alter?«
»Jetzt hör aber auf. An allem natürlich. Ich hab keine Ahnung. Komisch, dass da nichts darüber steht. Nichts von nach langer schwerer Krankheit oder so. Gehirnschlag, nehm ich mal an. Herzinfarkt. Irgend so was.«
»Sie war erst zweiundsechzig.«
»Na und? Man kann schon viel früher sterben. Ich selbst segne jeden Tag, den ich noch auf der Erde verbringen darf. Vorausgesetzt, dass ich ab und zu ein Stück Schokolade bekomme.«
Mark Holden konnte kein Stück finden, das ihm gefiel. Neben der Schale lagen drei verschmähte mit Lakritz und zwei mit
Weitere Kostenlose Bücher