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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Beweismaterial ist zur genaueren Analyse geschickt worden. Wir gehen davon aus, dass es am Tatort genetische Spuren gibt. Da sie von der Polizei gefunden wurde, offenbar kurze Zeit nach dem Mord, hoffen wir, das Material auf die bestmögliche Weise sichern zu können.«
    »Aber Sie wissen noch nicht, wer es getan hat?«
    Yngvar ertappte sich dabei, dass er die Augenbrauen hob. »Nein, natürlich nicht. Wir müssen noch …«
    »Die Zeitungen sprechen von blinder Gewalt. Sie berufen sich auf polizeiliche Quellen, die behaupten, dass nach einem Verrückten gesucht wird. Nach einer dieser ›tickenden Zeitbomben ‹  …«
    Seine Finger punktierten die Luft. »… die die Psychiatrie viel zu früh laufen lässt. Und nach Asylanten. Somaliern. Solchen Leuten.«
    »Es ist natürlich möglich, dass wir einen kranken Menschen suchen. Alles ist möglich. Zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen ist es aber wichtig, sich nicht in eine bestimmte Theorie zu verbeißen.«
    »Wenn diese Streife so schnell am Tatort war, kann der Täter doch nicht sehr weit gekommen sein. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass sie schon zehn, fünfzehn Minuten nach ihrem Tod gefunden worden ist. Am Heiligen Abend hat man sicher nicht die ganz große Auswahl. An Leuten, die sich spätabends auf der Straße herumtreiben, meine ich.«
    Er bereute offenbar sofort, das gesagt zu haben, und nahm ein Glas mit einer gelben Flüssigkeit, die Yngvar für Apfelsinensaft hielt.
    »Nein«, sage Yngvar. »Ihre Mutter, zum Beispiel.«
    »Hören Sie « , sagte Lukas und leerte das Glas, ehe er weitersprach. »Ich verstehe natürlich, was Sache ist. Ich würde die Welt darum geben, zu wissen, was meine Mutter vorhatte, so spät am Heiligen Abend. Aber ich weiß es nicht, okay? Ich weiß es nicht. Wir … das heißt meine Frau und meine drei Kinder, sind zu Weihnachten immer abwechselnd bei ihren Eltern und bei meinen. Diesmal waren meine Schwiegereltern bei uns. Meine Eltern waren allein. Ich habe meinen Vater gefragt, natürlich habe ich das, Herrgott …«
    Er schnitt eine Grimasse. »Ich habe ihn gefragt, und er weigert sich, zu antworten.«
    »Alles klar«, sagte Yngvar wohlwollend. »Alles klar. Deshalb würde ich Ihnen gerade zu diesem Thema gern ein paar Fragen stellen.«
    Lukas machte eine resignierte Handbewegung. »Fragen Sie.«
    »Ging Ihre Mutter gern spazieren?«
    »Was?«
    »Ist sie gern spazieren gegangen?«
    »Alle gehen wohl gern … Doch. Doch, sicher, das ist sie wohl.«
    »Abends? Viele haben ja die Angewohnheit, vor dem Schlafengehen noch einmal frische Luft zu schnappen. War Ihre Mutter auch so?«
    Zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung vor drei Tagen schien Lukas Lysgaard nachzudenken.
    »Ich wohne ja schon seit vielen Jahre nicht mehr zu Hause«, sagte er schließlich. »Ich habe … Wir haben schon mit zwanzig das erste Kind bekommen, meine Frau und ich. Wir haben im Sommer nach dem Abitur geheiratet, und …«
    Er verstummte und ein Lächeln huschte über sein verweintes Gesicht.
    »Das war aber sehr früh«, sagt Yngvar. »Ich hätte nicht gedacht, dass es das heute noch gibt.«
    »Meine Eltern, vor allem mein Vater, waren sehr dagegen, dass wir zusammenzogen, ohne verheiratet zu sein. Wo wir doch davon überzeugt waren, dass wir … Aber Sie wollten wissen, ob meine Mutter abends oft spazieren gegangen ist.«
    Yngvar nickte und zog möglichst unauffällig sein Notizbuch aus der Brusttasche.
    »Das ist sie wirklich. Jedenfalls, als ich noch zu Hause gewohnt habe. Als Pastorin hat sie nach der Arbeitszeit oft die Gemeindemitglieder besucht. Sie war eine … sehr fürsorgliche Pastorin, meine Mutter. Es konnte passieren, dass sie abends aus dem Haus ging und erst zurückkam, wenn ich schon eingeschlafen war. Ich habe jedoch nie erlebt, dass sie am Heiligen Abend … Hausbesuche gemacht hätte.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Eigentlich schon gut von ihr, Menschen, die sie brauchten, abends aufzusuchen. Sie hatte nämlich Angst vor der Dunkelheit.«
    »Angst vor der Dunkelheit«, wiederholte Yngvar. »Na gut. Aber sie ist nachts also gern allein spazieren gegangen. Hier in Bergen, meine ich. Seit Sie wieder hergezogen sind, meinen Sie?«
    »Nein … das heißt … als meine Mutter zur Bischöfin gewählt wurde, war ich schon erwachsen. Ich weiß ja nicht, ob sie noch immer so viele Besuche gemacht hat wie früher.«
    Er atmete schwer und griff zu seinem Glas. Als er feststellte, dass es leer war, blieb er sitzen und

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