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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Ausweispapier besaß, zogen die norwegischen Behörden seine Altersangabe schnell in Zweifel.
    Trotz der Meinungsverschiedenheiten über das Geburtsdatum des Jungen war er in ein Asylbewerberheim in Ringebu gesteckt worden. Dort gab es noch andere seiner Art, alleinstehende Asylbewerber unter achtzehn. Nach drei Tagen lief er dort weg. Seither war er fast ununterbrochen auf der Flucht gewesen, mit Ausnahme einiger Tage in einer Untersuchungszelle, wann immer der gewitzte Knabe doch nicht gewitzt genug gewesen war.
    Vor einem Jahr hatte er sich auf Prostitution verlegt.
    Mehrere Aussagen deuteten an, dass er sich teuer und an alle Welt verkaufte.
    Einmal jedenfalls hatte Hawre Ghani einen Kunden ausgeraubt, was durch einen Zufall entdeckt worden war: Er hatte ein Paar schwarze Nike Shox im Sporthaus Storo gestohlen. Ein Sicherheitswächter hatte den Jungen überwältigt, auf den Boden gelegt und auf ihm gesessen, bis eine Dreiviertelstunde später die Polizei anrückte. Bei der Durchsuchung im Arrest fanden sie bei Hawre eine Brieftasche von Montblanc mit Kreditkarten, Papieren und Quittungen auf den Namen eines bekannten Sportreporters. Dieser hatte kein Interesse an einer Anzeige, hieß es trocken in Kommissar Borks Bericht, mehrere Kollegen, die sich in der Stricherszene auskannten, konnten jedoch bestätigen, dass der Junge und sein Opfer dort wohl bekannt waren.
    Einmal war versucht worden, Hawre mit einem nordirakischen Kurden in Verbindung zu bringen, der eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung ohne Recht auf Familienzusammenführung besaß. Der Mann, der seit über zehn Jahren mit Gnadenfrist in Norwegen lebte und fließend Norwegisch sprach, arbeitete in Teilzeit als Jugendleiter im Stadtteil Gamlebyen. Er hatte bisher mit seinen Projekten bei verhaltensgestörten Jugendlichen großen Erfolg gehabt. Bei Hawre sah es nicht so gut aus. Nach drei Wochen zog der Junge mit vier Kumpels aus dem Jugendzentrum auf Raubzug durch die Kellerverschläge im Westend, versuchte, mit einem Brecheisen einen Geldautomaten zu knacken, stahl einen vier Jahre alten Audi TT und fuhr den Wagen zu Schrott.
    Silje Sørensen starrte das Bild des unreifen Knaben mit der riesigen Nase an. Seine Lippen hätten einem Zehnjährigen gehören können. Die Haut war glatt.
    Vielleicht war sie naiv.
    Natürlich war sie naiv, auch nach all den Jahren bei der Polizei, als ihre Illusionen wie Seifenblasen geplatzt waren, während sie im Rang aufgestiegen war.
    Aber dieser Junge war so jung. Es war natürlich unmöglich zu sehen, ob er fünfzehn war oder siebzehn, aber das Bild war nach seiner Ankunft in Norwegen aufgenommen worden, und sie hätte schwören können, dass der Tag seiner Volljährigkeit noch in weiter Ferne gelegen hatte.
    Jetzt spielte das alles keine Rolle mehr.
    Langsam legte sie das Bild auf den Rand des Schreibtisches.
    Dort würde es bleiben, bis sie diesen Fall gelöst hätte. Wenn es stimmte, dass jemand Hawre Ghani ermordet hatte, worauf die vorläufigen Funde ja hinwiesen, würde sie herausfinden, wer es getan hatte.
    Hawre Ghani war tot, und niemand hatte sich um ihn bemüht, als er noch am Leben war.
    Jetzt, da er tot war, würde sich das ändern.
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Mühe«, Yngvar Stubø winkte dem Mann ab. »Ich habe heute schon drei Tassen Kaffee getrunken, mehr tut mir wirklich nicht gut.«
    Lukas Lysgaard zuckte mit den Schultern und ließ sich in einen der gelben Ohrensessel fallen. In den seines Vaters. Yngvar hätte es noch immer unpassend gefunden, sich an Eva Karins Platz zu setzen, und er zog denselben Stuhl vom Esstisch wie bei seinem ersten Besuch.
    »Sind Sie schon weitergekommen?«, fragte Lukas, aber seine Stimme verriet kein nennenswertes Interesse.
    »Was macht die Migräne?«, fragte Yngvar.
    Der junge Mann zuckte abermals mit den Schultern, ehe er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr und die Lider zusammenkniff. »Ist schon besser. Die kommt und geht.«
    »Das ist so bei Migräne, habe ich gehört.«
    Eine Standuhr schlug tönend ein Mal. Yngvar widerstand der Versuchung, auf seine eigene Uhr zu schauen, er war sicher, dass es schon nach zwei sein musste. Er nahm einen schwachen Luftzug im Nacken wahr, als stünde ein Fenster einen Spaltbreit offen. Es roch nach gebratenem Speck und nach etwas anderem, das Yngvar nicht richtig zu fassen bekam.
    »Wir haben wenig Neues, fürchte ich.«
    Yngvar beugte sich im Stuhl vor und legte die Ellbogen auf die Knie.
    »Vieles von dem

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