Gotteszahl
Gefühl gehabt, mitten in der Schusslinie zu sitzen.
»Das ist gut gegangen«, sagte Yngvar und ließ sich wieder neben sie aufs Sofa fallen. »Ein Traum, glaube ich. Sie war gar nicht richtig wach. Wo waren wir stehen geblieben?«
»Weiß nicht recht«, sagte sie müde. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Ich glaube, du hast dich auf dieses Projekt gefreut. Dich darüber gefreut, meine ich.«
Sie legte ihm die Hand auf den Bauch und kroch tiefer in seine Armbeuge. »Tu ich auch«, murmelte sie. »Aber ich habe gerade eine Überdosis Hass abbekommen. Ich habe dich ja nicht mal gefragt, wie dein Tag gewesen ist.«
»Bitte tu das auch nicht.«
Langsam spürte sie, wie er sich unter ihrem Gewicht entspannte. Sein Atem wurde tiefer, und sie passte sich diesem Rhythmus an. Sein Gürtel saß zu fest, sie konnte die Speckwülste fühlen, die sich über den Hosenbund schoben.
»Könntest du dir Vorhänge vorstellen, Yngvar?«
»Hm?«
»Vorhänge«, erklärte sie. »Hier im Wohnzimmer. Ich finde, die Fensterscheiben sind jetzt im Winter so groß und dunkel.«
»Wenn ich sie nicht aussuchen, kaufen und aufhängen muss.«
»Okay.«
Sie müssten aufstehen. Sie müsste ihre Papiere aufräumen. Wenn die Kinder am nächsten Morgen als Erste aufstünden, würde alles ein noch größeres Chaos werden.
»Du riechst so gut«, flüsterte sie.
»Alles an mir ist gut«, sagte er verschlafen, und in seiner Stimme lag eine Sicherheit, die sie lange nicht mehr wahrgenommen hatte. »Und außerdem bin ich der allerallerallerbeste Polizist auf der Welt.«
»Hier ist die Polizei! He, du da, Junge! Anhalten! Anhalten, hab ich gesagt! «
Ein Junge war soeben aus einem dunkelgrünen Volvo XC 90 getaumelt. Die Nummernschilder waren so verdreckt, dass sie nicht zu lesen waren, obwohl der Wagen ansonsten ziemlich sauber war. Der allerälteste Trick, dachte Kommissar Knut Bork, als er aus dem zivilen Streifenwagen sprang und die Verfolgung des Knaben aufnahm.
»Haltet den Wagen an«, schrie er den Kollegen zu, die schon mit Riesensprüngen über die Fahrbahn setzten.
Seit genau fünf Tagen war es in Norwegen verboten, Sex zu kaufen. Das neue Gesetz war vom Parlament ohne allzu viel Lärm verabschiedet worden, auch wenn nicht anzunehmen war, dass diese Bestimmung zu einer nennenswerten Reduktion im Sexverkauf führen würde. Die offenkundige Straßenprostitution war in Deckung gegangen, vermutlich, um sich erst einmal ein Bild von der neuen Lage zu machen. Noch immer wimmelte es jedoch in Oslo von Huren beiderlei Geschlechts, und die Kundschaft war auch nicht verschwunden. Alles wurde nur ein wenig beschwerlicher für die Beteiligten. Und das war vielleicht der Sinn der Sache.
Der Junge war unsicher auf den Beinen, aber schnell. Kommissar Bork hatte ihn trotzdem schon nach fünfzig Metern eingeholt.
Der Kunde mit dem teuren Auto war außer sich vor Angst. Er war um die fünfunddreißig und hatte versucht, mit einer alten Decke zwei Kindersitze auf der Rückbank zu verbergen. Der Schlitz seiner Designerjeans stand noch offen, als die Autotür aufgerissen wurde. Als er aus dem Wagen stieg, wie ihm befohlen worden war, fing er an zu weinen.
»Scheiße«, heulte der Junge auf der anderen Straßenseite. »Du bringst mich ja um!«
»Nicht doch«, sagte Kommissar Bork. »Und wenn du ein braver Junge bist, nehm ich auch keine Handschellen, okay? Die sind nicht gerade angenehm, wenn ich also an deiner Stelle wäre …«
Er spürte, dass der Junge widerwillig resignierte. Der magere Körper entspannte sich. Kommissar Bork lockerte den Zugriff, mit dem er ihn von hinten gepackt hatte. Als der Junge sich umdrehte, wirkte er noch jünger als aus der Entfernung. Sein Gesicht war kindlich und weich, auch wenn er kaum mehr als sechzig Kilo wiegen mochte. Ein Herpesausschlag zog sich über die Oberlippe bis ins verkrustete linke Nasenloch. Kommissar Bork hätte den Jungen am liebsten laufen lassen.
»Ich hab nichts verbrochen, verdammt noch mal.«
Er fuhr sich mit dem Ärmel seiner Daunenjacke über die Oberlippe. »Sex verkaufen ist nicht verboten. Aber den Arsch da, den solltet ihr in den Knast stecken.«
»Ich vermute, wir lassen ihn eine Strafe zahlen. Aber da du unser Zeuge bist, müssen wir auch mit dir reden. Komm also mit zum Auto. Los, komm schon. Wie heißt du?«
Der Junge gab keine Antwort. Trotzig blieb er stehen, als Knut Bork sich in Bewegung setzen wollte.
»Hör mal«, sagte der Polizist. »Wir haben zwei Möglichkeiten.
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