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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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der
Spaltung
gilt in hohem Maß, was er ein Vierteljahrhundert danach, zusammenfassend für die Moderne, aber wohl in erster Linie für die eigene Produktion in den
Problemen der Lyrik
formulieren wird:
     
Bei der Herstellung eines Gedichtes beobachtet man nicht nur das Gedicht, sondern auch sich selber. Die Herstellung des Gedichtes selbst ist ein Thema, nicht das einzige Thema, aber in gewisser Weise klingt es überall an. 81
     
    Der Sänger
     
    Keime, Begriffsgenesen,
    Broadways, Azimut
    Turf- und Nebelwesen
    mischt der Sänger im Blut,
    immer in Gestaltung,
    immer dem Worte zu nach Vergessen der Spaltung
    zwischen ich und du.
     
    Neurogene Leier,
    fahle Hyperämien,
    Blutdruckschleier
    mittels Koffein,
    keiner kann ermessen
    dies: dem einen zu,
    ewig dem Vergessen
    zwischen ich und du.
     
    Wenn es einst der Sänger
    dualistisch trieb,
    heute ist er Zersprenger
    mittels Gehirnprinzips,
    stündlich webt er im Ganzen
    drängend zum Traum des Gedichts
    seine schweren Substanzen
    selten und langsam ins Nichts.
     
     

IX

»LEBEN IST BRÜCKENSCHLAGEN« 1
(1927 – 1932)
     
     
    »Man lebt vor sich hin sein Leben, das Leben der Banalitäten
    und Ermüdbarkeiten, in einem Land reich an kühlen und
    schattenvollen Stunden, chronologisch in einer Denkepoche,
    die ihr flaches mythenentleertes Milieu induktiv peripheriert,
    in einem Beruf kapitalistisch-opportunistischen Kalibers,
    man lebt zwischen Antennen, Chloriden, Dieselmotoren,
    man lebt in Berlin.«
2
     
     

»… c’est un poète, un poète et un poète …«
35
     
     
    Die Praxis lief trotz Facharzttitel und Kassenzulassung immer schlechter. Auch nach dem Sommer war keine Besserung in Sicht, doch hatte sich mittlerweile wenigstens ein interessanter Patient vorgestellt, mit dem sich Benn anfreundete. Der in Hannover geborenen Kunsthistoriker, Kunsthändler und Galerist Franz M. Zatzenstein aus der Bellevuestraße, der sich manchmal auch Catzenstein oder Katzenstein schrieb, war seit 1920 mit Mara Matthiessen verheiratet und nahm auch ihren Namen an.
    Oft luden der steinreiche Zatzenstein und seine Familie Freunde zu Reisen nach Frankreich ein, so auch Benn. 36 Wenn es ums Verreisen ging, zeigte sich Benn gerne spontan, und da es in der Praxis sowieso nicht viel zu verdienen gab, entschloss er sich leichten Herzens, Zatzensteins Angebot anzunehmen. Noch im August fragte er bei Carl Werckshagen an: »gibt es in Montreux oder Umgebung kleine Pensionen, wo ich im
September / Oktober
billig wohnen kann? Wieviel kostet Pension pro Tag ungefähr? Kennen Sie am französischen Ufer Orte, wo man hingehen könnte? Welche?« 37 Es scheint nicht ausgeschlossen, dass Benn also bereits im Herbst 1927 zu einer ersten »Geschäftsreise« mit dem Kunsthändler aufbrechen wollte, dem der am 23. September in der
Literarischen Welt
erscheinende Aufsatz
Kunst und Staat
persönlich gewidmet war. Oder er war wirklich den ganzen Sommer krank, wie er Ernestine Costa gegenüber behauptete: »Schwere Furunkulose, immer einer nach dem andern.« 38 Ende November verschickte Benn Postkarten aus Paris. Möglicherweise waren jetzt den Worten Zatzensteins Taten gefolgt. Und es sollte nicht die letzte bleiben.
    Ein Jahr später ließ Zatzenstein von seinem Chauffeur erneut seinen Horch-Wagen beladen und den Reisebegleiter, der seine Freundin in Wien untergebracht wusste, aus der Belle-Alliance-Straße zu einer zweiwöchigen Reise nach Südfrankreich abholen. Benn war hellauf begeistert und schickte am 2. Oktober auf der 2000 km langen Autofahrt von Berlin über Jeumont nach Perpignan »Un Bonjour d’Arles« an Carl Werckshagen: »vom Mittelmeer zum Atlantik, tiefer Sommer, Weinkarte, ohne Mantelu Hut im offenen Wagen.« 39
     
… wir fuhren in seinem großen Horch von Berlin über Paris, Biarritz nach Spanien, aber vor allem in Südfrankreich herum und in den Pyrenäen. Es waren Geschäftsreisen. Wir gingen dann in den kleinen Orten in die entsprechenden Etablissements, auch in Schlösser und mit besonderer Vornehmheit in einige Klöster, und dann begann unsere Litanei: »Nous cherchons des antiquités surtout des Primitifs et des tableaux de grand valeur« – sah mein Bekannter dann etwas, was ihm gefiel, wovon er sich etwas versprach, und in seiner Karriere hatte er einige kostbare Trouvaillen gemacht, schlenderte er zunächst weiter durch die Räume, kritisierte dies und das, drehte dies und jenes hin und her, und schließlich, schon in der Tür, sagte er, ich habe Sie solange

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