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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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aufgehalten, ich will nicht ganz ohne etwas fortgehen, tun Sie mir bitte das in meinen Wagen – und wie gesagt, hin und wieder – er war ein großer Experte – stellten sich dann in Berlin die schönsten Seltenheiten heraus. Reisen, die ich mir selber nie hätte leisten können – unvergeßliche Tage am Atlantik, in den Monts Maudits und an der Méditerranée. 40
     
    Im Herbst 1929 brachen sie ein letztes Mal zu einer ähnlichen Reise auf. Die Route führte sie diesmal jedoch auf der Hinfahrt nicht über die Nord-Süd-Achse Frankreichs in die Hauptstadt der Pyrenäen, sondern südwestlich zur Atlantikküste.
     
… mehrere Wochen dauernd, zahlreiche tausend Kilometer fuhren wir auf den prachtvollen Routes nationales, glatt wie Billards, geteert, staublos, den besten Autostraßen des Kontinents, und nicht weniger auf den schwierigeren Nebenstraßen. … Wir wohnten in den großen Hotels, um die die Golfplätze liegen, und in den kleinenProvinzgasthöfen, wo um neun die Nacht beginnt. Wir waren am Typ unseres Wagens und an unserem Abzeichen jederzeit als Deutsche zu erkennen. Wir sprachen in allen Hotels und Restaurants, am Strand, in Bars, in Kaufläden ruhig deutsch, lasen deutsche Zeitungen, unser Chauffeur konnte kein Wort französisch, er verstand nicht mal die Ausdrücke für rechts und links. Wir machten auf diesen Reisen geschäftliche, ärztliche, persönliche Bekanntschaften, hatten in Orten zu tun, wo sicher seit dem Krieg kein Deutscher gewesen war, und zusammenfassend muß ich sagen, ich habe nirgends eine Animosität gegen uns als Deutsche bemerkt. Im Gegenteil, … Germaine hatte einen Vater, der Deutsch sprach, Lucy hatte eine Nacht in Trier verbracht. 41
     
    Noch auf der Hinreise, die diesmal über Longwy nach Hendaye führte, machten die beiden Geschäftsreisenden Halt in Paris. Benns Weg führte in den Boulevard St. Germain Nr. 169, wo sich die Redaktion der Avantgarde-Literaturzeitschrift
Bifur
befand. Es war Hochsommer, um den 20. August, als »ein würdiger, beleibter, kahlköpfiger Herr, die Augen hinter einer Brille mit Goldgestell verborgen, an der Tür« läutete. »Wir verstanden einander kaum, er sprach nur seine Muttersprache und ich alles Mögliche nur nicht Deutsch. … In Ermangelung eines Besseren schüttelten wir uns kräftig die Hand.« 42
    »Bifur« leitet sich von »Bifurkation« ab und bedeutet »Scheideweg«. Am Scheideweg wähnte sich auch Benn; er wollte die Ausfahrt Richtung Weltliteratur keinesfalls verpassen, und
Bifur
, wo Hemingway, Joyce und Kafka veröffentlichten, schien ihm als Ergänzung zu Jolas’ Zeitschrift
transition
ideal zu sein. Exakt zur selben Zeit begann Benn seine ständige Mitarbeit bei der
Neuen Rundschau
; und mit Gustav Kiepenheuer und seinem Lektor Edlef Köppen, den Benn aus der Berliner Funk-Stunde kannte, 43 fand er nicht nur einen renommierten, das linke Bürgertum vertretenden Verleger für seine
Gesammelte Prosa
, sondern einen Verlag, der auch in Zukunft seine Bücher verlegen wollte.
     
Die wenigen Jahre, die einem noch bleiben, will ich nun wirklich anfangen zu arbeiten. 44
     
    Nachdem ihm durch den Sekretär von
Bifur
, Nino Frank, das Angebot übermittelt worden war, gegen regelmäßige Bezahlung als Berater für den deutschsprachigen Raum zu fungieren, schickte Benn zwei Wochen später ein Telegramm nach Paris und nahm das Angebot an. Nichts lag also näher, als bei nächster Gelegenheit die Redaktion zu besuchen.
    Der Tod Lili Bredas und die Trauer darüber lagen zwar erst sechs Wochen zurück, doch Benn hatte sich bereits wieder verliebt und befand sich mittlerweile in einer neuen Beziehung:
     
Kummer ist etwas, das sich nur glückliche Leute leisten können, wir andern müssen einfach machen, daß wir leben u zurechtkommen. Auch Kummer ist etwas, das nur in wohlhabenden Kreisen seine urbanen und vornehmen Formen wahren kann, wir andern müssen ihn zerdrücken, dürfen ihn nur streifen in Gedankenu manchmal in trostlosen u. verzweifelten Gedanken u. müssen im übrigen ihn aufnehmen in das tägliche Dasein u ihn den Notwendigkeiten unserer irdischen Bindungen unterordnen. 45
     
    Benn war bis zur Abwicklung und Umwandlung der Zeitschrift in eine »marxistische Revue«, 46 die sich Ende 1930 ankündigte, »
rastlos
für ›Bifur‹ tätig«, 47 korrespondierte und telefonierte mit Rudolf Kayser, dem Redakteur der
Neuen Rundschau
, und seinem Mitarbeiter, dem Lektor bei S. Fischer Oskar Loerke, der zudem seit Anfang des Jahres

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