Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
meiste Uebereinstimmung. Die Sitten des Volks – seine geistige Thätigkeit – seine Meinungsfreiheit – seine Art, über diejenigen Gegenstände zu denken, welche die theuersten Interessen und die heiligsten Freuden des Privatlebens betreffen, sind innigst mit dem amerikanischen Charakter verwandt; und in der That, sie sind an sich selbst vortrefflich, denn es ist das sittliche Gefühl des Volkes, auf welches die festen Grundlagen der Wohlfahrt Englands gebaut sind, und wie sehr auch der Oberbau abgenutzt, oder von Mißbräuchen überwachsen sein mag, es muß etwas solides in der Grundlage, etwas bewunderungswürdiges in den Bestandtheilen, und haltbares in der ganzen Zusammensetzung eines Gebäudes liegen, das so lange in den Stürmen der Welt unerschüttert da gestanden hat.
Es mag daher der Stolz unserer Schriftsteller sein, alle Gefühle der Erbitterung zu unterdrücken, und es zu verschmähen, die Unfreundlichkeit der britischen Schriftsteller auf ähnliche Weise zu vergelten, und von dem englischen Volke ohne Vorurtheil und mit entschiedener Unpartheilichkeit zu reden. Während sie die rücksichtslose Abgötterei rügen, womit einige von unseren Landsleuten Alles, was Englisch ist, bewundern und nachahmen, bloß weil es Englisch ist, mögen sie freimüthig das herausheben, was wirklich des Lobes werth ist. Wir können auf diese Weise England als ein beständiges Hülfsbuch vor uns haben, worin gesunde Schlußfolgen aus Jahrhunderten von Erfahrungen verzeichnet stehen; und während wir die Irrthümer und Thorheiten vermeiden, welche sich vielleicht in die Blätter eingeschlichen haben, können wir goldene Lehren praktischer Weisheit daraus schöpfen, um durch diese unsern National-Charakter zu stärken und zu verschönern.
Landleben in England.
O, Freundin du des besten Thuns der Menschen,
Nachdenken, Tugend, Frieden fröhlich fördernd,
O häuslich Sein in ländlich froher Ruhe!
Cowper .
Der Fremde, welcher sich einen richtigen Begriff von dem englischen Charakter machen will, muß seine Beobachtungen nicht auf die Hauptstadt beschränken. Er muß hinaus auf das Land gehen; er muß in Dörfern und Weilern bleiben; er muß Schlösser, Villen, Meierhöfe, Bauernhäuser besuchen; er muß durch Parke und Gärten, an Hecken entlang und in Alleen wandern; er muß um Dorfkirchen umherschlendern, Kirmessen und Märkte und andere ländliche Feste besuchen; und sich nach dem Volke, in allen seinen Verhältnissen, seinen Gewohnheiten und Launen bequemen.
In manchen Ländern enthalten die großen Städte den Reichthum und das Modeleben der Nation; sie sind die einzigen festen Aufenthaltsorte der zierlichen und gebildeten Gesellschaft, und das Land wird beinahe nur von dem bäurischen Landvolke bewohnt. In England dagegen ist die Hauptstadt ein bloßer Versammlungsort oder ein allgemeines Rendezvous für die gebildeteren Klassen, wo sie einen kleinen Theil des Jahres einem Gewirre der Fröhlichkeit und Zerstreuung widmen, und, nachdem sie diese Art von Karneval durchlebt, zu den, ihnen anscheinend mehr zusagenden, Gewohnheiten des Landlebens zurückkehren. Die verschiedenen Classen der Gesellschaft sind mithin über die ganze Fläche des Königreichs zerstreut, und selbst die entferntesten Gegenden bieten in einem kleinen Umkreise ein Gemisch der verschiedenen Stände dar.
Die Engländer haben in der That ein sehr lebendiges Gefühl für das Landleben. Sie besitzen eine große Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur, und einen entschiedenen Geschmack an ländlichen Vergnügungen und Beschäftigungen. Diese Leidenschaft scheint ihnen angeboren zu sein. Selbst die Bewohner der Städte, zwischen Mauern und in geräuschvollen Straßen geboren und erzogen, gehen mit Leichtigkeit in ländliche Sitten ein, und zeigen angebornen Sinn für ländliche Beschäftigungen. Der Kaufmann hat seinen behaglichen Landsitz in der Nähe der Hauptstadt, wo er oft eben so viel Stolz und Eifer bei der Pflege seines Blumengartens und der Zucht seiner Früchte an den Tag legt, als bei der Führung seines Geschäfts und dem Gelingen einer Handelsunternehmung. Selbst jene weniger glücklichen Individuen, welche ihr Leben mitten unter Geräusch und Verkehr hinzubringen bestimmt sind, bemühen sich Etwas zu erlangen, das sie an das Grün der Natur erinnern kann. In den dunkelsten und zusammengebautesten Vierteln der Altstadt, gleicht das Fenster des Wohnzimmers oft einem Blumenbeet: jeder Fleck, der nur im Stande ist, Pflanzen
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