Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
nagen, hättet Ihr mir nicht zufällig Gelegenheit gegeben, ein paar Worte zu sagen, ehe ich in Stücke zerfalle.«
»Mein guter Freund,« erwiederte ich: »wäret Ihr in den Umlauf gekommen, dessen Ihr erwähnt, so wäret Ihr schon lange nicht mehr. Nach Eurer Miene zu urtheilen, seid Ihr jetzt sehr vorgerückt an Jahren; sehr Wenige von Euren Zeitgenossen können jetzt noch vorhanden sein; diese Wenigen haben ihr hohes Alter dem Umstande zu verdanken, daß sie, wie Ihr selbst, in alte Bibliotheken eingeschlossen gewesen sind, welche Ihr, – erlaubt mir, das noch hinzuzufügen, – statt sie mit Harems zu vergleichen, weit besser und dankbarer mit den Krankenanstalten hättet zusammenstellen können, welche zum Besten alter und gebrechlicher Leute, mit den religiösen Stiftungen verbunden worden sind, wo sie durch ruhige Pflege, und weil sie ohne Beschäftigung sind, oft ein ungemein hohes, unnützes Alter erreichen. Ihr sprecht von Euren Zeitgenossen, als ob diese in Umlauf wären – wo findet man denn noch etwas von ihren Werken? Was hört man noch von Robert Groteste aus Lincoln? Niemand kann sich mehr abgemüht haben, um zur Unsterblichkeit zu gelangen, als er. Er soll beinahe zweihundert Bände geschrieben haben. Er baute gleichsam eine Pyramide von Büchern auf, seinen Namen zu verewigen; aber ach! die Pyramide ist längst zerfallen, und nur wenige Bruchstücke davon sind noch in den verschiedenen Bibliotheken zerstreut, wo sie selbst von dem Alterthumsforscher kaum in Bewegung gesetzt werden. Wieviel hören wir noch von dem Giraldus Cambrensis, dem Geschichtschreiber, Alterthumsforscher, Weltweisen, Gottesgelehrten und Dichter? Er schlug zwei Bischofthümer aus, um sich zurückziehen und für die Nachwelt schreiben zu können; doch die Nachwelt fragte nie nach seinen Arbeiten. Was hört man von Heinrich von Huntingdon, der, außer einer gelehrten Geschichte von England, noch eine Abhandlung über die Betrachtung der Welt geschrieben, für welche sich die Welt dadurch gerächt, daß sie ihn vergessen hat? Was führt man noch von Joseph von Exeter an, den man das Wunder seiner Zeit in der classischen Schreibart nannte? Von seinen drei großen Heldengedichten ist eins, bis auf ein bloßes Bruchstück, auf immer verloren; die übrigen nur einigen Wenigen bekannt, die nach Seltenheiten in der Literatur suchen, und was seine Liebesgedichte und Epigramme betrifft, so sind sie gänzlich verschwunden. Was weiß man wohl noch von Johann von Wallis, dem Franziskaner, der sich den Namen des Baums des Lebens erworben hatte; von Wilhelm von Malmesbury; – von Simeon von Durham; – von Benedict von Peterborough; – von Johann Hanvill von St. Albans? – von –«
»Aber, mein Freund,« rief der Quartband in einem mürrischen Tone: »für wie alt haltet Ihr mich denn? Ihr sprecht von Schriftstellern, die lange vor meiner Zeit gelebt haben, und entweder Lateinisch oder Französisch schrieben, so daß sie sich gewissermaßen selbst aus ihrem Vaterlande verbannt, und deßwegen verdient haben, vergessen zu werden; ich aber, mein Herr, bin aus der Presse des berühmten Wynkyn de Worde hervorgegangen. Ich ward in meiner vaterländischen Sprache geschrieben, zu einer Zeit, als sich diese zu begründen angefangen hatte, und in der That, ich ward für ein Muster von reinem und zierlichen Englisch angesehen.«
(Ich muß bemerken, daß diese Aeußerungen in so unerträglich altväterischen Ausdrücken vorgetragen wurden, daß ich unendliche Mühe gehabt habe, sie in neuerer Redeweise wieder zu geben).
»Ich bitt’ Euch um Entschuldigung,« sagte ich, »wenn ich mich in Euerem Alter geirrt habe, allein das thut wenig, beinahe alle Schriftsteller Eurer Zeit sind ebenfalls in Vergessenheit gekommen, und de Worde’s Drucke sind bloße literarische Seltenheiten bei den Büchersammlern geworden. Auch die Reinheit und Festigkeit der Sprache, worauf Ihr Eure Ansprüche auf Unsterblichkeit gründet, sind der trügerische Rückhalt der Schriftsteller aller Zeitalter, bis auf die Zeiten des ehrenwerthen Robert von Gloucester herab gewesen, der seine Geschichte in halbsächsischen Reimen schrieb.« [Fußnote: Holingshed bemerkt in seiner Chronik: »Späterhin ward auch durch die Sorgfalt Geffry Chaucer’s und John Gowe’s, zur Zeit Richard des Zweiten, und nach ihnen durch John Scogan und John Lydgate, den Mönch von Berie (Bury), besagte unsere Sprache zu einer großen Vortrefflichkeit gebracht; obgleich sie ihre eigentliche
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