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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Washington Irving
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wußte, und wegen Wilddiebstahls genöthigt war, sich im Lande flüchtig umherzutreiben. Ich meine, er habe Shakspeare geheißen. Wahrscheinlich ist er bald vergessen worden.«
    »Im Gegentheil,« sagte ich; »gerade diesem Manne verdankt man es, daß die Literatur seiner Zeit über die gewöhnliche Dauer der englischen Literatur hinaus im Andenken geblieben ist. Es treten dann und wann Schriftsteller auf, welche der Veränderlichkeit der Sprache Trotz zu bieten scheinen, weil sie in den unveränderlichen Grundsätzen der menschlichen Natur Wurzel geschlagen haben. Sie sind wie riesenhafte Bäume, welche wir zuweilen an den Ufern eines Stromes sehen, die, vermittelst ihrer gewaltigen, tiefgehenden Wurzeln, welche durch die Oberfläche hindurch sich einen Weg bahnen und in die Grundvesten der Erde einzudringen scheinen, es verhindern, daß der Boden um sie her von dem überfließenden Strome hinweggespült werde und manche benachbarte Pflanze und, vielleicht werthloses, Unkraut vor dem Untergange bewahren. Dieß ist der Fall bei Shakspeare, den wir die Schranken der Zeit verachten und bewirken sehen, daß die Sprache der Literatur seiner Zeit in neuerm Gebrauche bleibt und daß mancher unbedeutende Schriftsteller, bloß deßwegen, weil er in seiner Nähe geblüht hat, noch bekannt ist. Aber auch er nimmt, wie ich leider sagen muß, allmählig die Färbung des Alters an, und sein ganzes Aeußere ist mit einer Menge von Erläuterern bewachsen, die, wie umschlingende Ranken und Schmarotzerpflanzen, den edlen Baum, der sie trägt, beinahe ersticken.«
    Hier fing der kleine Quartband an, die Seiten zu bewegen und zu kichern, bis er einen plethorischen Lachkrampf bekam, an dem er, seiner ungemeinen Wohlbeleibtheit wegen, beinahe erstickt wäre. »Vortrefflich!« rief er, sobald er wieder zu Athem kommen konnte, – »vortrefflich! und so wollt Ihr mich denn wirklich überreden, daß die Literatur eines Zeitalters durch einen umstreifenden Wilddieb, durch einen Menschen ohne Gelehrsamkeit, durch einen Dichter, ja – einen Dichter! – bleibend gemacht werden könnte!« – und damit keichte er abermals ein krampfhaftes Gelächter hervor.
    Ich muß gestehen, daß mich seine Derbheit etwas verdroß, die ich ihm jedoch verzieh, weil er in einem weniger gebildeten Zeitalter geblüht hatte. Ich war indessen entschlossen, meine Sache nicht aufzugeben.
    »Ja,« erwiederte ich sehr bestimmt, »durch einen Dichter; denn von allen Schriftstellern hat er die wahrscheinlichste Aussicht auf Unsterblichkeit. Andere mögen aus dem Kopfe schreiben, er aber schreibt aus dem Herzen, und das Herz wird ihn jederzeit verstehen. Er ist der getreue Nachbildner der Natur, deren Züge immer dieselben und immer anziehend sind. Schriftsteller in Prosa sind bändereich und unbehülflich; ihre Blätter wimmeln von Gemeinplätzen, und sie spinnen ihre Gedanken immer bis zum Ekel aus. Bei dem wahren Dichter ist dagegen Alles gedrängt, rührend oder glänzend. Er gibt die ausgesuchtesten Gedanken in der ausgesuchtesten Sprache. Er macht sie durch Alles, was er nur Bedeutsames in der Natur und der Kunst findet, anschaulich. Er bereichert sie durch Bilder aus dem menschlichen Leben, so wie es an ihm vorübergeht. Seine Schriften enthalten mithin den Geist und, wenn ich mich des Wortes bedienen darf, das Arom des Zeitalters, worin er lebt. Sie sind Behältnisse, welche in einem kleinen Raume den Reichthum der Sprache verschließen – ihre Familienjuwelen, welche auf diese Weise in einer bequemen Gestalt der Nachwelt überliefert werden. Die Fassung mag zuweilen veraltet sein und dann und wann geändert werden müssen, wie dieß bei Chaucer der Fall ist, allein das Feuer und der innere Werth der Steine bleiben unverändert. Werft einen Blick auf die lange Reihenfolge der Geschichte der Literatur! Welche gewaltige Thalgründe voll Einförmigkeit, mit mönchischen Legenden und akademischen Streitigkeiten angefüllt! welche Moräste von theologischen Spekulationen! welche furchtbare Einöden von Metaphysik! Nur hie und da sehen wir die vom Himmel erleuchteten Barden, welche wie Feuerthürme auf ihren weit von einander entfernten Höhen stehen, um das reine Licht der dichterischen Weisheit von Zeitalter zu Zeitalter zu befördern.«
    [Fußnote:
Durch Erd’ und Wasser dringet
Die Feder mit Geschicke,
Enthüllt die ird’sche Täuschung
Und zeiget unserm Blicke
In einem Spiegel Tugend
Und Frevelthat im Leben;
So süß ist nicht der Honig,
Den fleiß‘ge Bienen

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