Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
Veränderlichkeit der Sprache als eine weise Einrichtung der Vorsehung an, welche zum Vortheil der Welt im Allgemeinen, und der Schriftsteller im Besondern, es so gewollt hat. Wenn wir nach ähnlichen Erscheinungen schließen wollen, so sehen wir täglich die verschiedenen schönen Geschlechter der Gewächse entstehen, blühen, die Felder auf eine kurze Zeit schmücken, und dann in Staub zerfallen, um ihren Nachfolgern Platz zu machen. Wäre dieß nicht der Fall, so würde die Fruchtbarkeit der Natur, statt eines Segens, ein Fluch sein. Die Erde würde unter der Last eines üppigen und wuchernden Pflanzenlebens erseufzen, und ihre Oberfläche eine verworrene Wildniß werden. Auf ähnliche Weise sinken die Werke des Genie’s und der Gelehrsamkeit und machen den nachfolgenden Erzeugnissen Platz. Die Sprache wechselt allmählig, und mit ihr verwelken die Erzeugnisse der Schriftsteller, welche die ihnen gesetzte Zeit geblüht haben; denn, wäre dieß nicht der Fall, so würde die Schöpferkraft des Genie’s in Kurzem die Welt überschwemmen und der Verstand in den endlosen Irrgärten der Literatur ganz verwirrt werden. Früherhin gab es einige Schranken für diese übermäßige Vermehrung. Die Werke mußten abgeschrieben werden, was eine langwierige und mühsame Arbeit war; man schrieb sie entweder auf Pergament, was sehr kostbar, so daß oft ein Werk verwischt werden mußte, um einem andern Platz zu machen, oder auf Papyrus, der leicht zerstörbar und sehr vergänglich war. Die Schriftstellerei war ein begrenztes und uneinträgliches Gewerbe, das vorzüglich von Mönchen in der Muße und Einsamkeit ihrer Zellen betrieben wurde. Die Ansammlung von Handschriften ging langsam vor sich, war kostbar und beinahe ganz auf die Klöster beschränkt. Diesen Umständen ist es wohl einigermaßen beizumessen, daß wir mit dem Verstande des Alterthums nicht überschüttet worden sind; daß die Quellen des Denkens nicht gesprengt worden sind und das Genie der Neueren nicht ertränkt wurde in dieser Sündfluth. Die Erfindung des Papiers und der Druckerpresse hat indessen allem diesem Zwange ein Ende gemacht. Sie hat einen Jeden zu einem Schriftsteller geschaffen, und jedes Gemüth in den Stand gesetzt, sich in den Druck zu ergießen und sich über die ganze geistige Welt zu verbreiten. Die Folgen davon sind beunruhigend. Der Fluß der Literatur ist zu einem Gießbach angeschwollen – zu einem Strom geworden – hat sich zu einem Meer ausgedehnt. Vor einigen Jahrhunderten bildeten fünf-oder sechshundert Handschriften eine große Bibliothek; was würdet Ihr aber sagen, wenn Ihr Bibliotheken sähet, wie es deren heut zu Tage gibt, welche drei-bis viermalhunderttausend Bände enthalten; Legionen von Schriftstellern, die alle zu gleicher Zeit beschäftigt sind, und die Presse, welche mit furchtbar zunehmender Thätigkeit dahin arbeitet jene Anzahl zu verdoppeln, ja bis zum Vierfachen zu vermehren? Wenn nicht eine unvorhergesehene Sterblichkeit unter den Abkömmlingen der Muse einreißt, zittere ich, da diese jetzt so ungemein fruchtbar geworden ist, für die Nachwelt. Ich fürchte, das bloße Schwanken der Sprache wird hinreichend sein. Die Kritik kann viel thun. Sie wächst mit dem Zuwachse der Literatur und gleicht einem der heilsamen Hindernisse der Uebervölkerung, von welchem die Staatswirthe zu reden pflegen. Man sollte deßhalb der Vermehrung der Kritiker, guter oder schlechter, alle mögliche Förderung geben. Aber ich fürchte, daß alles dieß vergebens sein wird; was auch die Kritik thun mag, so werden die Schriftsteller schreiben, die Drucker drucken und die Welt unausbleiblich mit guten Büchern überladen werden. Es wird bald eine Beschäftigung für eine Lebenszeit werden, nur ihre Titel zu wissen. Viele Leute von ganz leidlicher Bildung lesen gegenwärtig kaum etwas anderes als Recensionen; und es wird nicht lange dauern, so wird ein Gelehrter nichts weiter sein, als ein wanderndes Bücherverzeichniß.«
»Mein guter Herr,« sagte der kleine Quartband, indem er mir mißmuthig in das Gesicht gähnte, »entschuldigt mich, wenn ich Euch unterbreche, aber ich merke, Ihr habt etwas Hang, breit zu werden. Ich möchte gern etwas von dem Schicksale eines Schriftstellers wissen, der einiges Aufsehen zu machen anfing, als ich auf der Welt trat. Man hielt indessen seinen Ruf nur für vorübergehend. Die Gelehrten schüttelten die Köpfe über ihn; denn er war ein armer halberzogener Wicht, der wenig Latein und gar kein Griechisch
Weitere Kostenlose Bücher