Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
Bände, für Kopfzerbrechen gekostet haben! wie viele mühevolle Tage! wie manche schlaflose Nächte! Wie mögen sich die Verfasser derselben in die Einsamkeit ihrer Zellen und Kreuzgänge begraben, sich vor aller Menschen Antlitz und dem noch segensreicheren Antlitz der Natur verborgen, und sich mühevollen Untersuchungen und angestrengtem Nachdenken hingegeben haben! Und wozu dieß Alles? um einen Zollbreit eines staubigen Bücherbretts einzunehmen – oder damit der Titel ihrer Werke dann und wann in einem künftigen Jahrhundert von irgend einem schläfrigen Geistlichen oder zufälligen Besucher, wie ich es bin, gelesen werde, und in dem nächsten Jahrhunderte, selbst für die Erinnerung, ganz untergehe. So verhält es sich mit dieser gepriesenen Unsterblichkeit. Ein bloßes einstweiliges Aufsehn, ein örtliches Lautwerden, gleich dem Klange der Glocke, welcher so eben zwischen diesen Thürmen erschollen ist, der das Ohr auf einen Augenblick erfüllt – noch einige Secunden in Widerhall fortdauert – und dann verhallt, wie etwas, das nicht da gewesen ist!
Während ich so, halb in mich hineinmurmelnd, halb in diese unfruchtbaren Grübeleien versunken, den Kopf in die Hand gestützt, da saß, trommelte ich mit der andern Hand auf den Quartband, bis ich, von ungefähr, die Klappen losgemacht hatte, als auf einmal, zu meinem großen Erstaunen, das kleine Buch zwei-oder dreimal zu gähnen anfing, wie Jemand, der aus einem tiefen Schlafe erwacht, hierauf ein trockenes Räuspern vernehmen ließ, und endlich zu sprechen begann. Anfangs klang seine Stimme sehr heiser und gebrochen, da eine Spinnewebe, welche eine gelehrte Spinne quer über dasselbe gespannt hatte, ihm im Wege war, so wie auch deßwegen, weil es sich wahrscheinlich durch den langen Aufenthalt in der Kälte und Dumpfheit der Abtei eine Erkältung zugezogen hatte. Nach kurzer Zeit ward indessen seine Stimme vernehmlicher, und ich fand bald, daß es ein ungemein fließend sich ausdrückendes kleines Buch war. Seine Sprache war allerdings ungewöhnlich und veraltet, und seine Aussprache würde man heut zu Tage für barbarisch gehalten haben; allein ich werde mich bemühen, Alles in neuerer Mundart wieder zu geben.
Er begann mit Strafworten über die Vernachlässigung der Welt – darüber, daß man das Verdienst in der Dunkelheit dahin schmachten lasse, und andern solchen Gemeinplätzen schriftstellerischer Unzufriedenheit, und beklagte sich bitter darüber, daß man ihn seit länger als zwei Jahrhunderten nicht geöffnet habe. Nur der Dechant blicke dann und wann in die Bibliothek, nehme zuweilen ein oder zwei Bücher heraus, beschäftige sich einige Augenblicke mit ihnen, und stelle sie dann wieder auf das Bücherbrett. »Was, zum Henker, meinen sie denn,« sagte der kleine Quartband, der, wie ich bemerkte, etwas cholerischer Art war; »was, zum Henker, meint man denn, daß man mehrere tausend Bände unserer Art hier aufspeichern, und von einigen alten Kirchendienern bewachen läßt, wie Schönheiten in einem Harem, bloß damit uns der Dechant dann und wann betrachten kann? Die Bücher sind dazu geschrieben, um Vergnügen zu gewähren und damit man sich an ihnen erfreue; und ich wünschte, daß eine Verordnung erlassen würde, wonach der Dechant Jedem von uns, wenigstens alljährlich, einen Besuch abstatten müßte, oder, wenn er das nicht leisten kann, so mag man von Zeit zu Zeit die ganze Westminster-Schule unter uns loslassen, daß wir auf jeden Fall doch dann und wann einmal in Bewegung kommen.«
»Gemach, mein würdiger Freund,« erwiederte ich: »Ihr wißt nicht, daß Ihr bei weitem besser daran seid, als die meisten Bücher eurer Zeit. Dadurch, daß Ihr hier in dieser alten Bibliothek aufgestapelt worden, seid Ihr wie die wohlaufbewahrten Ueberbleibsel jener Heiligen und Monarchen, welche in den benachbarten Capellen ruhen, während die Ueberbleibsel anderer gleichzeitiger Sterblichen, welche dem gewöhnlichen Gang der Natur überlassen werden, schon längst wieder in den Staub zurückgekehrt sind.«
»Nein, Herr,« sagte der kleine Band, indem er seine Blätter aufblies und eine stolze Miene annahm: »ich bin für die ganze Welt geschrieben worden, nicht aber für die Bücherwürmer einer Abtei. Ich war bestimmt, aus einer Hand in die andere zu gehen, wie andere gleichzeitige große Werke; hier aber habe ich länger als zwei Jahrhunderte fest zugeschlossen gestanden, und wäre schweigend eine Beute der Würmer geworden, die an meinen Eingeweiden
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