Gott´sacker (Krimi-Edition)
vorsichtig vom Riedboden auf, ließ es aber schnell wieder fallen, als ich die gelblichweißen Maden auf der Erde sah, die mich mit ihren schwarzen punktförmigen Augen missachteten.
Pfui Teufel, hier hat wohl jemand seinen Müll entsorgt – inklusive Schlachtabfälle.
Meine Neugierde musste nun gestillt werden und ich lief zur Südseite der Kapelle zum Eingang, denn dort schien der Gestank als greifbare Wolke in der Luft zu hängen.
Und von dort kam mir auch die Prozession entgegen. Es sah eigenartig aus, hintereinander in einer Linie zogen sie mir entgegen, obwohl sie langsam waren, schien es mir, als ob sie es eilig hätten. Auf dem Boden krabbelte eine weiße Prozession des Todes. Hunderte von Maden verließen die Kapelle durch die Tür, die einen Spalt geöffnet war.
Vorsichtig schaute ich durch den Spalt zwischen Holztür und Mauer, bis ich den Ausgangspunkt ihrer Wanderung entdeckte: Das Entsetzen entlockte meinen trockenen Stimmbändern ein knarziges »Heilandzack!«.
Was da auf dem Boden der zerfallenen Kapelle durch den engen Ausschnitt der Tür zu sehen war, war ein Mensch – gewesen. Das Gebrumme, die Hitze, der Gestank, alles war mir plötzlich unerträglich. Schnell drehte ich um, ohne die Kapelle zu betreten, und stolperte über alte Backsteine und rannte wenige Schritte weg vom Gemäuer. Dann drehte ich jedoch um und ging, widerlich vom Unfassbaren angezogen, noch einmal zum Eingang, zur alten Holztür, die schief in den Angeln hing. Ich zog meine kleine Digitalkamera aus der Tasche und hielt sie, ohne mir das makabre Bild live anzuschauen, so weit wie möglich zum Türspalt hinein, ohne den Raum betreten zu müssen. Ich bewegte die Kamera in meiner Hand in alle Richtungen und schoss so einige Bilder von dem, was ich nicht sehen konnte und wollte. Immer wieder drückte ich den Auslöser und benutzte die Zoom- und Weitwinkelfunktion meiner Kamera.
Dann entfernte ich mich vom süßlich tranigen Geruch des Todes und vom unaufhörlichen Summen der fetten Fliegen, die einen Kinderhort für ihren madigen Nachwuchs suchten. Ich drehte mich noch einmal kurz um und machte ein paar Fotos vom windschiefen Sakralhäuschen. Romantisch, wie es hier mitten im Ried, nur 20 Meter von der sanierungswürdigen Landstraße entfernt, dem langsamen Verfall preisgegeben war. Ohne das widerlich süße Parfum des Todes, ohne den makabren Inhalt – eigentlich ein schöner Ort für ein Schäferstündchen. Bis jetzt war ich immer nur daran vorbeigecruist, hatte es in seiner schiefen Architektur eher belächelt. Plötzlich hatte ich einen sakralen Respekt vor diesem Gebäude. Und das nur, weil die kirchliche Form und der modernde Inhalt für mich nicht mehr korrespondierten.
Als ich meinen Helm sah, dessen Visier immer noch leicht verschmiert war, musste ich mich neben meinem Motorrad übergeben. Ich ahnte, welche letzte Mahlzeit das Insekt zu sich genommen hatte, bevor es durch einen Zusammenprall mit meinem Visier schlagartig vom Leben zum Tode geführt wurde. Und ich hatte es mit meiner Spucke und meinem Daumennagel vom Helm entfernt.
Ein weiterer Strahl Erbrochenes landete nahe der Spitze meiner Schlangenleder-Cowboystiefel.
Herrschaftsechse – das hätte noch gefehlt, 780 Euro, weiße Python aus Brasilien.
Um meinen Fuß war die Python gepaart mit einem braunen Rindsleder. Beide lebten auch nicht mehr. Alles um mich herum schien nicht mehr zu leben. Nur diese verdammten Fliegen. Ärgerlich wedelte ich mit beiden Armen, um die lästigen Insekten zu verscheuchen. Aus einem meiner vielen und abgebrochenen Studiengänge wusste ich noch, dass man diese Drecksbiester auch ›Totenfliege‹ nennt. Sogar ihr lateinischer Name ›Cynomyia mortuorum‹ war mir erstaunlicherweise noch geläufig – das war schon immer mein Problem: Ich konnte mir immer nur die unwichtigen Dinge merken.
Der Hinterleib der Totenfliege ist grünblau und metallisch glänzend, der Thorax ist deutlich dunkler. Die Facettenaugen sind rot gefärbt und die Wangen des Fliegenkopfes sind gelb-rot. Ich kenne sie gut, immer wenn ich Fisch auf den Grill lege, bevorzugt die Forellen aus dem Bach Ostrach, zählen sie zu meinen unbeliebteren Gästen.
Die Polizei.
Ich kramte nach meinem Handy, suchte nervös die Einschalttaste, bis ich bemerkte, dass ich meine Digi-Cam in der Hand hatte. Der zweite Versuch förderte mein himmelblaues Antik-Handy aus der Tasche. Im Bohnenstengel, meiner Stammkneipe, wurde ich deswegen immer geärgert. Das Handy
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