Gott´sacker (Krimi-Edition)
Schritten noch weiter ausholen zu können. Zum ersten Mal kam der athletische Massai-Krieger in ihm durch. Der Rock der sportlichen Kriminalblondine war aus kinetischer Energie heraus von selbst nach oben gerutscht und bot einen unvergesslichen Blick auf ihre Beine. Die Waffe hielt sie immer noch in der erhobenen Hand. Zum Turm hin rief sie: »Bleiben Sie dort oben stehen, bewegen Sie sich nicht, wir holen Sie sicher herunter.«
Die Tauben, die im Turm nisteten, flatterten aufgeregt um das Fenster herum und ließen Kot ab. Als er uns sah, las er aus dem Buch und rief mit kräftiger Stimme herunter: »Eben erst hat er fliehen müssen, und schon begräbt er wieder die Toten. Heilandzack! Als ich ihn begraben hatte und in der Nacht nach Hause kam, legte ich mich an der Hofmauer zum Schlafen nieder, weil ich unrein geworden war. Mein Gesicht ließ ich unbedeckt, ohne auf die Sperlinge zu achten – Heilandzack, das sind doch Tauben –, die in der Mauer nisteten. Da ließen die Sperlinge ihren warmen Kot in meine offenen Augen fallen und es bildeten sich weiße Flecke in meinen Augen. Und ich, ich gehe nicht mehr zu den Ärzten, die können mir auch nicht helfen, die konnten es nie.«
Dann warf er das Buch in unsere Richtung. Es flatterte wie ein in der Luft getroffener Vogel vor unsere Füße. Es war das Alte Testament. Dann hielt sich der alte Mesner Kalner das Kreuz mit der Spitze an die Brust und sprang.
Durch das Ried hörte man die Signalhörner der Einsatz-Fahrzeuge näher kommen.
26
Vier Tage, nachdem sich der Alt-Mesner Kalner vom Kirchturm gestürzt hatte, war das Geschehene immer noch Tagesgespräch in Riedhagen und den umliegenden Dörfern. Es entstand für wenige Tage ein regelrechter Turm-Tourismus. Auch Presse und Fernsehsender labten sich wie Maden am Fleisch der schrecklichen Ereignisse. Menschen, behängt mit Videokameras und digitalen Fotoapparaten aus dem Bodenseeraum, aber auch Neugierige mit Stuttgarter Autokennzeichen besuchten Riedhagen. Sie gaben vor, sie hätten schon immer mal die schöne Riedlandschaft besuchen wollen, aber alle wollten den Kirchturm sehen und die Wohnung des Alt-Pfarrers, wo er mit seiner Haushälterin gewohnt hatte.
Vor allem die Stelle unterhalb des Kirchturms war der Touristenmagnet, wo Kalner nicht, wie er geplant hatte, vom Kreuz durchbohrt, sondern neben seinem Kreuz liegend gestorben war. Er hatte sich selbst verfehlt.
Deodonatus hatte an der Aufprallstelle ein schlichtes, weißes Kreuz, ein ewiges Licht und ein Blumentöpfchen mit Vergissmeinnicht aufgestellt. Ein Spendenkässchen für die Kirche rundete das Trauer-Arrangement ab.
Müller stand mit Racko meist im Garten – mit seiner guten Trainingshose, die mit den weißen Streifen an der Seite – und gab den Suchenden und Neugierigen bereitwillig Auskunft über Haushälterin und Pfarrer, die jahrelang seine ›besten Nachbarn‹ waren. Er genoss in seinem Frührentnerdasein die Aufmerksamkeit, die man ihm und seinem Hündchen schenkte. Die sensationsgeilen Touristen verließen meist schnell sein Grundstück, als er ihnen auch noch sein Hunde-Epitaph vorstellte. Mittlerweile war es liebevoll mit einem Bild von Waldemar geschmückt.
27
Frieda stand grübelnd an unserem Tisch und überlegte, ob sie den Biergartenbereich vergrößern sollte, ließ jedoch ebenso schnell wieder von der Idee ab: »Wenn es nichts mehr zu glotzen gibt, kommt keiner mehr.«
»Frieda, noch ein Bier«, rief ich ihr zu.
»Ja, sofort, iss auch was. Ich bring dir Bratwürste mit Kartoffelsalat, geht aufs Haus.«
Cäci lachte mich an und wurde ein bisschen rot.
»Was führt denn die im Schilde?«, fragte ich neugierig. »Die will doch irgendwas von mir.«
Cäci schüttelte nur grinsend den Kopf und hob an, mir etwas zu sagen, als eine bekannte Stimme rief: »Hi, Dani, ist noch ein Platz frei?«
»Ich bin auch noch da«, meinte Cäci.
»Das sehe ich. Na, wie geht’s so, nach all dem Stress?«
Die doofe Hilde trug einen äußerst knappen schwarzen Stretchrock und ein sonnengelbes Top. Irgendwie kam mir das bekannt vor, ich wusste nur nicht, woher. Cäci hatte die Augen zusammengekniffen, riedwasserbraun blitzte es aus den dünnen Schlitzen. Leise zischte sie in meine Richtung: »Was fällt der dummen Kuh bloß ein? Und wehe, sie macht dich jetzt noch an!«
Ihre Fingernägel trommelten den Radetzky-Marsch auf die Oberfläche des blechernen Tischchens.
Jetzt erst fiel es mir auf, meine Cäci trug das gleiche, lose
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