Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
Lös.«
Capitaine Chabert seufzt. Dann rafft er sich auf. Seine Stimme ist scharf wie noch nie.
»Das Gesuch an den Kriegsminister will ich um elf Uhr unterzeichnen. Verstanden?«
»Zu Befehl, Capitaine«, sagt Narcisse. Seine Brust wölbt sich vor, wie bei einer Frau. Gaston Chabert geht schlafen…
Aufruhr
Samotadji , Capitaine Chaberts ungarische Ordonnanz, glich mit seinem blonden, spitz zulaufenden Bart einem noch jugendlichen Magier. Er saß auf der Schwelle der Küchentür, die Blechtasse zwischen die Knie geklemmt, tauchte längliche Brotschnitten in den Kaffee und lauschte den Erzählungen der Abgesandten, die gekommen waren, um für die Sektion das Frühstück zu holen. Sein Gehör war gut, trotz der Büschel, die ihm aus den Ohren wuchsen und er verstand alles, was erzählt wurde. Denn er sprach ungarisch, deutsch, französisch, russisch, rumänisch – ja sogar ein paar Brocken türkisch hatte er aufgeschnappt, damals, als er von einem Getreidejuden als Leibwache angestellt worden war…
So konnte er seinem Capitaine später, beim Rasieren, viel Interessantes und zugleich Unangenehmes mitteilen: Er erzählte von der Prügelei in der Mitrailleusensektion, bei welcher Sergeant Sitnikoff niedergeschlagen worden war, von der Ermordung Türks durch Kraschinsky. Sogar vom Besuche Leutnant Lartigues im Krankenzimmer hatte er gehört – aber diese letzte Neuigkeit spann er nicht aus, denn Chabert grimassierte derart unter dem Messer, daß Samotadji lieber einen andern Gesprächsstoff anschnitt – die letzte große Neuigkeit: Korporal Seignac, der Neger, hatte einen Rapport wegen Gehorsamsverweigerung eingegeben.
»Glauben Sie mir, mon capitaine«, sagte Samotadji in seinem harten Französisch, »das sind alles schlechte Zeichen. Wissen Sie, Sie sind zu gut mit den Leuten« (mit den Leuten! sagte der Soldat erster Klasse, der Gefreite Samotadji) »und aus Übermut werden sie irgend etwas Dummes anstellen – nur weil sie sich langweilen. Und das wird dann nicht etwas Unschuldiges sein wie das Abschlachten eines Hundes…«
Die Müdigkeit – eine Folge der fast schlaflos verbrachten Nacht – machte des Capitaines Schritte schwer. Am Fuße der Treppe angelangt, blieb Chabert lange Zeit ratlos stehen. Den Besuch Lartigues im Krankenzimmer empfand er als Verrat, Türks Tod kümmerte ihn wenig, er fand, Sitnikoff habe seine Prügel verdient – warum mischte sich der Mann in Farnys Privatangelegenheiten? Farny hatte den Kampf gewonnen – kein Zweifel, wollte man ehrlich gegen sich selbst sein, so mußte man das zugeben – und Sitnikoff war ein ›Intellektueller‹ – wie Lös, wie Lartigue. Sie paßten zusammen, die beiden: der bücherlesende Leutnant und der Verwaltungskorporal Lös, der sich kleine Mädchen leistete mit dem Geld, das er dem Staate gestohlen hatte…
Der Besuch Lartigues wäre so schlimm nicht, aber in Verbindung mit dem Rapport Seignacs (und obwohl diese beiden Angelegenheiten nichts miteinander zu tun hatten, waren sie dennoch gewissermaßen als Barometerstand der Stimmung im Posten zu werten) erhielt auch er seine Bedeutung. Es ging nicht an, einfach zu diesem Korporal Seignac hinzugehen und ihm zu sagen: »Du hast Fäuste, mein Kleiner, verschaff dir Respekt!« Nein, das war unmöglich. Denn Seignac war schwarz, und wenn er den Versuch wagte, mit dem Renitenten zu boxen, würde die ganze Sektion über den einzelnen Mann herfallen. Die Folgen? Sie waren nicht schwer zu erraten. Denn allmählich wurde es klar: Den Posten beherrschte ein unsichtbarer Geist, der Geist des ›Cafards‹.
Cafard – ein Wort, das sich nicht übersetzen läßt. Es ist nicht Heimweh – obwohl Cafard ohne einen Schuß Heimweh undenkbar ist. Melancholie? Melancholie heißt schwarze Galle – und ein ›Cafard‹ ist ein schwarzer Käfer – genauer: eine Küchenschabe. Beide – Melancholie und Cafard – haben etwas mit schwarzer Farbe zu tun.
Cafard! – Viel kann aus dem Cafard entstehen: Desertion, Gehorsamsverweigerung, sinnloses Saufen, Messerstecherei, Selbstmord. Wenn ein einzelner den Cafard hat…
Aber Cafard ist ansteckend… Ansteckender als beispielsweise Typhus – gegen den es immerhin einen Impfstoff gibt. Wie also, wenn der Cafard eine ganze Kompagnie ergreift?
Was gibt es dann?
Revolte! Aufruhr!…
Capitaine Chabert schüttelte den Kopf (die Sonne stand schon hoch, und dennoch war es sehr still im Posten), und kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg. Er blickte hier in eine
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