Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
großen Stein, den die Sonne erhitzt hatte. Er legte das Gewehr auf die Knie und blickte um sich, das Tal vor ihm war weit und grau, zierliche Hügel standen darauf. In schwarzem Schatten lagen die Berge zu seiner Rechten. Der Wind schliff die Spitzen der Gräser mit Sand. Fliegen zogen klingende Kurven durch die Luft und über den fernen Schneebergen sonnten sich weiße Wolken.
Der kleine Schneider schlief ein. Vom Dom der Heimatstadt am Rhein läuteten Glocken den Krieg ein, läuteten stärker und verfolgten die vielen Männer, die zur Kaserne zogen. Er marschierte mit. Dann brannte die Uniform auf seinem Körper, ihm war so elend zu Mute. Irgendwo weinte die Mutter. Nun verfolgte ihn ein Feldwebel mit Fußtritten. Alles ging entsetzlich langsam vor sich, als halte eine unbekannte Macht alle Bewegungen auf.
Der kleine Schneider fuhr auf und stürzte vornüber. »Wer hat mich geschlagen?« dachte er und sah sich um. Da stand der Adjutant mit geschwungener Reitpeitsche, die er langsam sinken ließ, als er des andern Gesicht sah. Er schien auch gar nicht böse zu sein, eher belustigt.
»Mein Gaul hätte den Schlag kaum gespürt und du fällst gleich um. Das sind mir Soldaten!« Er schnupfte feucht. »Auf Wache geschlafen. Darauf steht Kriegsgericht.« Er brüllte sich in Wut. »Ja, vors Kriegsgericht sollte ich dich schicken. Dort würde man vielleicht ein Mittel finden, aus dir einen Soldaten zu machen.«
Der kleine Schneider lächelte traurig. Er dachte an das eiserne Kreuz, das er in der Sommeschlacht verdient hatte. Er wollte etwas erwidern, aber der Mund war ihm ausgetrocknet, und die Zunge hing darin wie ein hölzerner Klöppel.
»Du gehst jetzt zu Fuß heim«, des Adjutanten Stimme wurde sachlich, »und baust dein Grab auf. Weißt du was das heißt? Du nimmst dein Zelttuch und machst ein einzelnes ganz niederes Zelt, so daß du gerade darunter liegen kannst. Keine Decken verstanden? Legst dich darunter und kriechst nicht heraus, bis ich dir die Erlaubnis gebe. Abtreten.«
Der kleine Schneider stand vor dem dicken Mann und betrachtete ihn, wie man ein böses Tier beschaut.
»Aber ich bin doch krank«, sagte er weinerlich.
»Krank, krank!« grölte Cattaneo. »Ich kann dir nicht helfen. Soll ich vielleicht den Arzt spielen? Und der Major kommt doch nie zu uns.«
Als er Tränen sah in des anderen Augen, schien er sich zu freuen, daß er imstande war, soviel Furcht einzuflößen. Plötzlich schlug er um und ganz freundlich sagte er: »Also Fieber hast du, dann geh ins Lager zurück und leg dich hin. Ich bring dir Chinin.«
Lächelnd zottelte der kleine Schneider den Berg hinab. In ihm war nur eine Sehnsucht: sich niederzulegen und zu schlafen, lange, lange… Tage hindurch, und womöglich nicht mehr aufzuwachen.
Jacob rupfte Grasbüschel aus, die er verzehrte, samt der daran hängenden Erde. Als ihm der kleine Schneider die offene Hand hinhielt, kam er mißtrauisch näher, ließ sich aber dann packen. Doch schüttelte er unzufrieden den Kopf, als Schneider aufstieg.
In der Ebene begann Jacob zu traben, dann schlug er einen langgezogenen Galopp an. Der kleine Schneider hatte die Zügel über den Hals fallen lassen und hielt sich am Sattelknauf. Jacob kannte den Weg. Der Reiter hatte den Helm abgenommen und freute sich über den Luftzug, der hart und kühl war, wie eine pflegende Hand. Der kleine Schneider dachte an Lös: »Ein anständiger Kerl«, murmelte er laut, und nickte mit dem Kopf.
Ein wenig später lag er unter dem Zelt und sah der Sonne zu, die winzige Löcher durch das braune Tuch bohrte. Draußen hörte er die Gamellen klappern; es war Essenszeit.
»Willst du etwas, Schneider?« fragte Korporal Claus vorne am Zelteingang, und rollte das letzte R im Gaumen.
»Nur meinen Wein, sonst nichts.«
Korporal Claus versteckte, glücklich lächelnd, die Gamelle, die er für den Kranken hatte füllen lassen, unter einer Decke, um sie später in Ruhe zu verzehren. Er litt an chronischem Hunger.
Dann brachte der Adjutant ein paar Chinintabletten, die der Schneider mit dem Wein hinunterspülte.
»Laß dir's besser gehen«, sagte der Adjutant freundlich.
Den ganzen Nachmittag lag der kleine Schneider regungslos im Halbschlummer. Ihm war wohlig warm. Und auch die Erinnerungen, die zerrissen vorbeiflogen, waren mild und beruhigend. Er schwamm im Rhein, das Wasser war lau. Erst zwölfjährig war er und trug blaugestreifte Schwimmhosen. Große grüne Bäume standen an den Ufern und Motorboote fuhren
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