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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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nuées.
Baudelaire, ›Plaintes d'un Icare‹

Der Marsch
    Todd hatte die letzte Wache, die von Mitternacht bis zwei Uhr. Der Wind war frisch, kam in Stößen, beruhigte sich wieder, zerfetzte die Wolkendecke vor dem Mond. Todd zog die Uhr aus der Hosentasche. Es war eine schöne flache Uhr, die Goldschale ohne Verzierungen; als Kette trug sie einen geknüpften Schuhriemen. Korporal Pierrard hatte sie ihm geliehen. Es war ein Uhr. Um halb zwei mußten die Köche geweckt werden, um zwei war Tagwache.
    Um zwölf war es noch warm gewesen. Erst später war der Wind aufgestanden. Todd zog die Kapotte an.
    Durch die dünnen Zelttücher hörte er den Atem der vielen Schläfer. Manchmal klang es wie das Zischen vieler kleiner Dampfkessel. Dann verstummte das Zischen, die vielen Atemzüge hatten wohl das Zeitmaß gefunden, in das sie sich fügen konnten, weitausholend und doch irgendwo gehemmt, als müßten sie sich im Schlafe noch einer Disziplin fügen.
    Nur die Maultiere blieben verschont vom umgebenden Zwang. Sie schienen gar nicht in das Lager zu passen mit seiner streng quadratischen Form. Sie standen oder lagen, bissen einander zum Spiel, schnauften dann laut. Es klang wie ein leises unterdrücktes Lachen; bisweilen stieß das eine kurze, pfeifende Laute aus und warf die Hinterbeine in die Luft. Und auch den beruhigenden Knüppelschlag der Stallwache nahm es weiter nicht übel. Das gehört zum Spiel.
    Halb zwei. Noch eine halbe Stunde, dann gab es heißen Kaffee und einen Achtelliter Schnaps. Todd ging in das Zelt, wo die Köche schliefen und riß an ein paar nackten Füßen, die hervorragten.
    Bald brannten die Feuer aus dürrem Gras und trockenem Thymian. Der Wind breitete den Rauch wie ein scharfduftendes Tuch über das Lager. Es wogte unruhig, bis eine Stille eintrat, dann blieb es liegen. In den Zelten wurde es lebendig. Gestalten schlichen heraus, die den Schatten Verstorbener glichen. Der Himmel wurde langsam weiß, als sei die Milchstraße über ihre Ufer getreten. Die Ordonnanzen rissen die Pflöcke der Offizierszelte aus. Korporal Pierrard kam heran und verlangte seine Uhr zurück. Todd ging zu den Feuern, um zu frühstücken. Sergeant Hassa pfiff zum Reveil.
    Das Zelt über Capitaine Chabert verschwand plötzlich, er lag in seiner Fülle auf dem niedern Feldbett, lachte, hustete, fand den Witz ausgezeichnet, den Samotadji sich da erlaubt hatte, fluchte dann plötzlich, weil er seine Pfeife nicht fand. Er brauchte fünf Streichhölzer, um den Tabak in Brand zu setzen (der Sturm wehte heftig). Nun brüllte er Lartigues Namen in den Wirrwarr. Niemand hatte den Leutnant gesehen. Doch da erschien er im Schein eines Feuers, er hatte einen Spaziergang gemacht, seine braunen Ledergamaschen glänzten. Samotadji rief nach dem Koch; endlich brachte dieser den kleinen Aluminiumkrug mit dem Kaffee. Der Capitaine kostete und verbrannte sich die Lippen. Einen Teil des Kaffees goß er auf den Boden und leerte Schnaps aus der Feldflasche nach.
    Er klatschte in die Hände und rief: »Vorwärts, vorwärts« in das Chaos, das um ihn kreiste. Nur ein Feuer brannte noch. Hoch schlug die Flamme auf, knatterte im Sturm, das Lager war taghell, große Schatten tanzten auf der Ebene, ballten sich zu Klumpen, lösten sich wieder. Dennoch war kein Wort und kein Ruf zu hören. Nur des Capitaines Händeklatschen drang durch das Scharren des Aufbruchs. Todd warf den Sattel auf seine Lisa.
    Das Feuer war abgebrannt. Nun klärte sich das Chaos. Eine unterdrückte Fröhlichkeit, die sich nur in Gesten äußerte, zitterte durch die Kolonne. Der Schnaps war die Ursache, der starke Kaffee und die Zigarette auf nüchternen Magen.
    Der Capitaine saß schon auf seinem Pferd. Er hob den Arm, und diese Bewegung sah aus wie eine sakrale Geste. Dann ließ er ihn nach vorne fallen, gab dem Pferd die Sporen und war bald nur ein Schattenriß gegen den silbernen Himmel.
    Todd ritt als vierter. Unter den Hufen seines Tieres war die Straße ein grauer Teppich, dunkel zuerst, dann wurde er nach und nach heller. Eigentlich war es gar keine richtige Straße, eher ein primitiver Weg, das Gras oberflächlich abgekratzt, manchmal von tiefen Rinnen durchfurcht; in der Regenzeit hatten die schweren Camions sie gegraben. Die Ohren des Maultieres wippten. Der dichte Schwanz des vorhergehenden hing schlapp und reglos herab. Angenehm war die Spannung, die von der Schlaflosigkeit der letzten Nacht erzeugt wurde; diese Spannung, die fremd war und erwartungsvoll. Und doch

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