Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Sachlichkeit hatte sie ihm ihren Körper hundertmal zur Untersuchung dargeboten, ihm die Nöte dieses Körpers anvertraut und seine Hilfe verlangt und angenommen. Aber der gebildete Doktor Peral wußte: die Damen der römischen Antike hatten es nicht anders gehalten mit den gelehrten griechischen Sklaven, die sie sich als ärztliche Helfer und Berater gekauft hatten; sie hatten sich von ihnen die schönen Leiber pflegen lassen, doch die geschickten Hände der Betreuer waren ihnen nichts anderes gewesen als ihre Bürsten und Ölschwämmchen. Und wenn ihn auch die Duquesita als Freund, Berater, Vertrauten behandelte, Don Joaquín zweifelte oft, ob er ihr mehr bedeute als ein solcher griechischer Sklavenarzt.
Doktor Peral hielt sich für einen Freigeist reinster Schule. Seine Lehrer waren Lamettrie, Holbach, Helvétius, er war tief überzeugt, daß Gefühle und Gedanken ein Produkt des Körpers waren wie Harn oder Schweiß. Die Anatomie des menschlichen Leibes war immer die gleiche, Lustgefühle blieben immer die gleichen, zwischen den Empfindungen des Stieres, der die Kuh bespringt, und den Gefühlen Dantes für Beatrice war nur ein gradueller Unterschied, und wenn man Liebe für etwas grundsätzlich anderes hielt als Gier, so war das idealisierender Aberglaube. Doktor Peral bezeichnete sich als einen materialistischen Hedoniker, er erklärte, der einzige Sinn des Lebens sei Genuß, er nannte sich gerne nach dem Vorbild des Horaz »ein Schweinlein aus der Herde des Epikur«.
Allein vor Cayetana de Alba versagte seine Philosophie. Er glaubte, er hätte, wenn er’s ernstlich darauf anlegte, seine Duquesita »haben« können. Aber seltsamerweise, und im Grunde gegen seine Überzeugung, genügte ihm das nicht. Von ihr wollte er mehr. Er sah, wie sie ihre Männer auswählte,und daß es da für sie eine einzige Richtschnur gab: ihr Gefühl. Dieses Gefühl mochte vielleicht nur eine Stunde dauern oder noch kürzer, aber da mußte es sein; sie wollte niemals einen beliebigen Mann haben, sondern immer nur gerade diesen. Leider aber war niemals er gerade dieser.
Da dem so war, wäre es Wahnsinn, wenn er jetzt das Angebot Doña María Luisas ablehnte. Kein noch so großer Liebesdienst wird Cayetanas launisches Gefühl zu seinen Gunsten wenden, und er wird, wenn er jetzt ablehnt, nur die beste Chance seines Lebens in den Wind schlagen. Trotzdem wußte er: er wird ablehnen. Sein Leben verlor seinen Sinn, wenn er nicht länger im Dunstkreis Cayetanas atmete, wenn er nicht länger aus nächster Nähe die unberechenbaren Launen ihres geschmeidigen Leibes beobachtete.
Er erzählte Cayetana von dem Angebot María Luisas, er sprach leicht, beiläufig. »Aus notwendiger Höflichkeit«, sagte er, »habe ich um Bedenkzeit gebeten. Ich werde natürlich ablehnen.«
Cayetanas letzte Wochen waren nicht gut gewesen. Sie entbehrte Francisco bitter; auch noch Peral zu verlieren wäre schwer erträglich. Die Feindin, die Italienerin, hatte die Zeit zum Losschlagen gut gewählt. Aber sie beherrschte sich. Im Gesprächston, wie er, sagte sie: »Sie wissen, daß ich mich freue, wenn Sie mit mir zusammenbleiben; doch ich hoffe, es geschieht nicht meinethalb, wenn Sie ablehnen«, und sie schaute ihn voll an, ruhig, kalt freundlich, mit den metallischen Augen unter den hohen Brauen.
Er erkannte klar, was in ihr vorging: sie erwartete, er werde nun zum Entgelt verlangen, daß sie mit ihm schlafe. Vielleicht, wahrscheinlich würde sie es tun; aber er würde ihrem Blut fremd bleiben, er würde sie für immer verlieren.
Und sie sagte: »Sicher haben
Sie sich klargemacht, daß ich un-
Dankbar bin.« – »Ich weiß es«, sagte
Ruhig Peral. »Wenn ich den Antrag
Nicht annehme, tu ich’s meinet-
Halb, nicht Ihretwillen.« – »Dann ist’s
Gut, Don Joaquín«, sprach sie und
Streckte hoch sich wie ein Kind und
Küßte ernst und leicht die Stirne
Des sich Neigenden.
23
Sie lebte, wie sie es immer getan hatte. Um sie war Wirbel, sie hatte unzählige Verabredungen, man sah sie im Theater, beim Stierkampf, sie gab und besuchte Gesellschaften und hielt freundliche Gemeinschaft mit Don José und der Marquesa.
Aber es war jetzt in dem wohlerzogenen Zusammenleben der dreie leise Gereiztheit.
Als die Marquesa ihren Sohn José mit der letzten und einzigen Trägerin des großen und düstern Namens Alba verlobte – die beiden waren fast noch Kinder gewesen –, hatte sie nicht nur die Titel und Reichtümer der beiden Häuser vereinigen wollen, sie
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