Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
bedenken er sich bisher gescheut hatte. In seiner Wut hatte er sie unfruchtbar genannt. War sie es? Wenn sie von einem der Männer, mit denen sie schlief, ein Kind zur Welt brächte, würden der Herzog und die Marquesa die Namen Villabranca und Alba dem Bastard vererben? Vielleicht hatte sie sich, um solchen Problemen aus dem Wege zu gehen, der Hilfe Doktor Perals bedient oder Eufemias oder beider. Vielleicht erklärte sich so ihre Vertraulichkeit mit dem Arzt. Es kam Goya, während er an dem Bilde der Marquesa malte, die Einsicht, daß im Hause Alba das Leben nicht so einfach war, wie er’s hatte haben wollen.
Im übrigen wollte das Porträt Doña María Antonias nicht glücken. Kaum je vorher hatte er so viele Skizzen zu einem Bilde gemacht, kaum je vorher war ihm so undeutlich gewesen, was eigentlich er machen wollte. Zudem stand es nach wie vor übel um sein Gehör. Er konnte nur jenen, in deren Gegenwart er sich sicher fühlte, die Worte leicht von den Lippen ablesen; von dem, was die Marquesa sagte, verstand er wenig. Auch hatte er die Hoffnung aufgegeben, Cayetana bei ihr zu treffen.
Martín war nach Saragossa zurückgefahren. Wohl aber stellte sich jetzt immer häufiger Don Miguel ein, und vielleicht erkannte er, auch ohne daß Francisco viel gesprochen hätte, seine Sorgen und Verwirrungen. Er machte ihm einen Vorschlag, den er als Bitte um eine Gefälligkeit einkleidete; inWahrheit aber wollte der einfühlsame Freund seinem Francisco helfen.
Die Beziehungen zwischen Don Manuel und dem Botschafter der Französischen Republik waren nach wie vor frostig. Politische Klugheit hätte verlangt, den Bürger Guillemardet bei Laune zu halten, aber der Príncipe de la Paz konnte sich’s nicht versagen, dem Plebejer, der ihm eine persönliche Niederlage beigebracht hatte, offen seinen Widerwillen zu zeigen. Señor Bermúdez seinesteils tat alles, den wichtigen Mann zu versöhnen, und nutzte jeden Anlaß, ihm gefällig zu sein. Nun war Guillemardet interessiert an Kunstdingen, es wurmte ihn, daß Spaniens größter Maler den royalistischen Gesandten Havré porträtiert hatte, und er hatte Don Miguel angedeutet, er würde sich freuen, wenn Señor de Goya auch ihn malte. Übernähme Francisco den Auftrag, dann erwiese er der Sache der spanischen Liberalen einen Dienst; und vielleicht wäre die Arbeit ihm selber eine willkommene Ablenkung. Nur müßte er bald ans Werk gehen. Der Franzose sei ein ungeduldiger Mann, gereizt, weil Manuel ihn oft und gerne habe warten lassen.
Francisco war froh um den Vorwand, die Arbeit am Porträt der Marquesa abzubrechen. Sie wehrte seine Entschuldigungen liebenswürdig ab. Er möge, ermunterte sie ihn, wann immer er Zeit und Lust fühle, die Arbeit wieder aufnehmen.
Trotz ihrer Freundlichkeit verließ er den Palacio Villabranca verdrossenen Sinnes. Er schämte sich vor ihr und vor sich selber, daß er das Porträt nicht zustande gebracht hatte. Dergleichen war ihm kaum je vorgekommen, und oft in der Folge quälte ihn der Gedanke an das unfertige Bild.
Mit um so größerem Eifer warf er sich in die neue Arbeit. Guillemardet, geschmeichelt, daß Goya seiner Aufforderung sogleich nachkam, gab sich freundlich. Er wollte in Uniform gemalt sein, mit allen Attributen seines Amtes. »Malen Sie nicht mich, verehrter Meister«, forderte er, »malen Sie die Republik. Die Republik«, setzte er ihm mit großer Geste auseinander, »hat im Lauf der Jahre Wandlungen durchgemacht.Sie haben sicher schon gehört, Bürger Goya, von der Dynamis und der Entelechie des Aristoteles, vom Keim, von der Möglichkeit, die allen Dingen von Anfang an innewohnt und nach ihrer Erfüllung strebt. So wurde die Republik immer reifer republikanisch, und so wurde mit ihr Ferdinand-Pierre Guillemardet immer mehr zum Bürger Guillemardet.«
Francisco verstand von den gespreizten französischen Worten wenig. Aber er dachte flüchtig an den Maler David, und er begriff, daß der Königsmörder und Tempelstürmer Guillemardet gekämpft und gelitten haben mußte, als er erlebte, wie die Republik dem Volke entglitt und übernommen wurde von geschäftsgierigen Großbürgern. Er sah, wie Guillemardet bemüht war, sich diese Wandlung zu verhehlen. Er sah die stete, gespannte Anstrengung in der Haltung des Botschafters, er sah den beinahe irrsinnigen Stolz in seinen Augen, er erkannte, wie die Selbsttäuschung, in welche der Mann sich flüchtete, ihn in immer tieferen Wahn hineintreiben mußte.
Das zu malen war ihm eine
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