Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
fühlte sich auch angezogen von der starken, eigenwilligen und anmutigen Persönlichkeit Cayetanas, und sie hatte gehofft, das zarte, dünne Leben Josés werde gespeist werden aus dem vollen, reichen des Mädchens. Gewiß, Cayetana war von früher Jugend an »chatoyante« gewesen, ein wenig exzentrisch, ihr Großvater hatte sie nach den Regeln Rousseaus erziehen lassen; aber Doña María Antonia hatte damit gerechnet, eine Alba werde, wie immer erzogen, sichern Sinn haben für die Tradition und das Geziemende.
Doña Cayetana hatte sich denn auch bei all ihren Launen und Wallungen damenhaft bewährt. Sooft sie in Liebschaften verstrickt war, niemals hatte sie die Marquesa und Don José vor das schwierige Problem gestellt, ob man einen Bastard alsTräger des größten Namens Spaniens anerkennen solle. Vielmehr hatte sie, ohne der Marquesa mit peinlichen Fragen und Bitten um Ratschläge zu kommen, mit gutem Takt Mittel gefunden, eine solche Situation zu vermeiden.
Und nun mit einem Male hatte Cayetana versagt. Sie, die sich mühelos aus viel schwierigeren Affären gezogen hatte, ohne Anstoß zu geben. Niemand verdachte es einer großen Dame, wenn sie sich einen Cortejo hielt. Niemand verdachte es der Herzogin von Alba, daß sie sich den Hofmaler Francisco de Goya zum Cortejo gewählt hatte. Aber schon die Art, wie sie in der letzten Zeit ihre Passion zur Schau stellte, war kaum mehr schicklich gewesen. Und daß sie nun gar diese Freundschaft, statt sie auf stille, allmähliche Art zu lösen, so jäh abbrach, überschritt die Grenze. Nun nahm ganz Madrid wahr, daß es sich um mehr handelte als eine Spielerei, und bedauerte lächelnd den Herzog. Nun war die Marquesa gezwungen, gegen ihren Willen die Augen aufzutun und zu sehen, wie tief diese Leidenschaft ging.
Ähnlich wie seine Mutter empfand der Herzog. Cayetana hatte ihm niemals Liebe vorgetäuscht, doch hatte sie ihm Kameradschaft bezeigt, Einfühlung, und so hatte er ihre Launen gelassen hingenommen. Nun mit einem Mal hatte sich eine ihrer Wallungen in eine grelle Leidenschaft verwandelt, die seinen Sinn fürs Maß, seine Vornehmheit beleidigte. Das verstörte ihn und machte ihn bei aller äußern Beherrschtheit reizbar.
Aus dieser Reizbarkeit heraus faßte er einen überraschenden, folgenreichen Entschluß. Er hatte von jeher die Musik über alles geliebt, und er hatte gelitten unter den lärmenden Banalitäten, die der König darüber äußerte, und unter den plumpen Späßen, mit denen er ihn aufzog. Nun ertrug er es nicht mehr. Eines Tages, nachdem er ein Quartett hatte mit anhören müssen, in welchem Don Carlos die erste Geige kratzte, erklärte er seiner Mutter, die brutale Stumpfheit des Königs habe in Spanien alle wahre Musik erstickt. Er halte es nicht länger aus bei Hofe und in Madrid. Er werde nach Italienreisen und nach Deutschland, um sich Ohren und Herz reinzuspülen.
Er fürchtete, die Mutter werde ihm die Reise widerraten. Wirklich beunruhigte der Gedanke, welche Anstrengung eine solche Fahrt ihren Sohn kosten werde, Doña María Antonia. Doch hoffte sie, die Abwechslung und die Musik würden ihn beleben; vor allem aber, das sagte sie sich im stillen, werde eine solche Reise das Problem Cayetana von selber lösen, und über italienischen und deutschen Männern werde sie den madrilenischen Maler bald vergessen. Sie hieß also Don Josés Plan ohne Zögern und mit starken Worten gut.
Sie beschlossen, sich sehr bald auf den Weg zu machen. »Ich denke«, sagte Don José, »wir werden in kleinster Gesellschaft reisen, nur Sie, Mama, Cayetana und ich, wir werden wenig Dienerschaft mitnehmen.« – »Und Doktor Peral natürlich«, meinte die Marquesa. »Den Doktor lieber nicht«, sagte Don José. Die Marquesa sah auf. »Ich denke«, wiederholte Don José freundlich, doch ungewohnt bestimmt, »wir nehmen Peral nicht mit. Er versteht zuviel von Musik«, erklärte er lächelnd, »ich möchte von alleine herausfinden, was mir gefällt.« Auch die Marquesa lächelte. Sie begriff: was José ihr da sagte, war eine halbe Wahrheit. Gewiß, er wollte auf dieser Reise seine Musik allein haben; vor allem aber wollte er Cayetana allein haben, ohne den Mitwisser so vieler ihrer Geheimnisse. »Gut«, sagte sie, »lassen wir Don Joaquín hier.«
Cayetana, als Don José ihr sein Vorhaben mitteilte, war peinlich erstaunt. Ob denn seine zarte Konstitution einer so langen und strapaziösen Reise gewachsen sei, fragte sie behutsam, und ob es nicht klüger wäre, den
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