Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Ärzte wußten die ständige, tiefe Müdigkeit nicht zu erklären.
Die meiste Zeit hockte Don José im Sessel, gehüllt in einen weiten Schlafrock, schmächtig, mit geschlossenen Augen, in schmerzhafter Kraftlosigkeit. Wenn sich seine Augen öffneten, standen sie noch größer in einem Gesicht, das immer hagerer wurde. Seine Züge härteten sich, bekamen etwas Strenges, Leidendes. Jedermann sah, wie seine Lebenskraft schmolz.
Doña Cayetana zeigte er eine stille, höfliche, hochmütige Abwehr. Die gleiche höfliche, verschlossene Fremdheit zeigte ihr die Marquesa. Sie wurde, die ruhig heitere Doña María Antonia, nun sie litt, ihrem Sohne ähnlicher. Mit keinem Worte gab sie zu verstehen, daß sie den letzten Ereignissen eine Schuld beimesse an dem Hinschwinden ihres Sohnes; aber Cayetana erkannte, daß sie in Doña María Antonia niemals mehr eine Freundin haben werde.
Als offenbar wurde, daß das Ende herannahe, wünschte Don José in den Palacio Villabranca geschafft zu werden. Bisher hatte er nicht zugelassen, daß man ihn zu Bett bringe, jetzt weigerte er sich nicht mehr. Betreut von seiner Mutter, seinem Bruder Luis, seiner Schwägerin María Tomasa, lag er da, müde der Hoheit und der Würde, und Cayetana fühlte sich wie eine Fremde.
In den Vorzimmern des Palacio Liria und des Palacio Villabranca lagen Listen auf, und die Besucher, die nach dem Befinden des erlauchten Kranken fragten, trugen sich ein. Volk stand in den umliegenden Straßen, flüsternd. Don José war einer der drei Ersten Granden des Reiches, der Mann der Alba, die Stadt beschäftigte sich mit ihm. Es hieß, er sei immerkränklich gewesen und habe nie Aussicht gehabt, ein hohes Alter zu erreichen, aber dieses jähe Ende komme doch überraschend. Es hieß, interessierte Hände hätten mitgewirkt an seiner seltsamen Erschlaffung und Ermattung; man habe ihm ein schleichendes Gift eingegeben. Gerüchte solcher Art flogen schnell auf in Madrid und wurden gerne geglaubt. Der berühmteste Alba, jener Feldmarschall, und sein König, der fromme und finstere Zweite Philipp, hatten es für staatsmännisch und gottgefällig gehalten, gewisse Gegner still und wirksam zu beseitigen, und seither war mancher große Herr der Halbinsel auf fragwürdige Weise umgekommen. Es hieß wohl auch, Don José sei der Alba unbequem geworden; waren nicht ihre vielen Liebschaften Gespräch des Reiches?
Das Ende kam am hellen Mittag. Der Priester sprach die vorgeschriebenen lateinischen Gebete, Klage und Verzeihung, und bot dem Sterbenden das Bild des Gekreuzigten dar. Don José galt nicht eben als fromm, auch schien er mit anderm beschäftigt, vielleicht hörte er Musik; aber wiewohl es ihn sichtlich Anstrengung kostete, küßte er, wie es sich ziemte, das Bild höflich und fromm. Dann nahm der Priester von goldener Schale Wattekugeln und Öl und salbte dem Sterbenden Augen, Nase, Lippen, Hände und Füße.
Gleich nach dem Tode Don Josés begann das feierliche, genau geregelte Geschäft der Trauer. Man schminkte ihn, Franziskanermönche kleideten ihn in das Gewand ihres Ordens. Das Zimmer, in dem er gestorben war, wurde mit schwarzem Damast ausgeschlagen, drei Altäre wurden hereingestellt mit uralten, kostbaren Kruzifixen aus dem Schatze der Albas und Villabrancas, zu seiten des Bettes und auf den Altären brannten in goldenen Leuchtern hohe Kerzen. So lag feierlich und streng der tote Don José Alvarez de Toledo, Dreizehnter Herzog von Berwick und Alba, Elfter Marqués von Villabranca.
Der Patriarch Beider Indien stellte sich ein, der König hatte die Mitglieder seiner Hofkapelle geschickt, daß sie die Totenmesse sängen. Die Familie wohnte dem Amte bei, Vertreterdes Königs und der Königin, die höchsten Granden, die nächsten Freunde. Die Sänger und Musikanten mühten sich, der Tote war ein Kunstbruder gewesen. Die hohen Gäste standen mit steifen, würdigen Gesichtern, wie es der Brauch vorschrieb. Starren Antlitzes kniete Doña María Antonia. Zwei von den Frauen aber weinten laut, wie es eigentlich die Sitte nicht erlaubte. Die eine war Doña María Tomasa; sie war dem Schwager sehr freund gewesen, sie hatte, wenn sie mit ihm Musik machte, erlebt, wie seine Seele durchbrach durch seine Würde und Zurückhaltung. Die andere war die kleine, dürftige Geneviève de Havré. In wenigen Wochen jetzt wird sie dieses finstere Land verlassen. Sie hatte hier Furchtbares erlebt, sie hatte sich dem Wunsche des Vaters gefügt und sich für die Lilien Frankreichs den
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