Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Wirkungen nicht zu schätzen wüßte, auch wenn sie gewagt sind: aber das verstehe ich nicht. Ich verstehe noch anderes nicht auf diesem Bilde. Abweichungen von der Regel, schön und gut, ich nehme sie hin. Aber hier sehe ich nur mehr Abweichungen. Ich freue mich über jeden gesunden Realismus: aber deine Bourbonen sindnicht mehr Porträts, sie sind Karikaturen. Und warum die übersimple, primitive Komposition? Ich wüßte kein Werk, keines der alten Meister und kein zeitgenössisches, auf das du dich berufen könntest. Nimm mir’s nicht übel, Francisco, ich bewundere dich, ich bin dein Freund, aber hier kann ich nicht mehr mit.« Und, mit Autorität, schloß er: »Dieses Bild ist mißlungen.«
Agustín bereute, daß man dem gelehrten Esel, der selbst durch den Schmerz um Lucía nicht gescheiter geworden war, das Bild gezeigt hatte. Erbittert stieß er den großen, hügeligen Kopf vor, schickte sich an zu antworten. Doch Goya winkte ihm ab. »Ich nehm dir’s nicht übel, mein Alter«, sagte er leichthin zu Miguel.
Der indes setzte von neuem an. »Haben der König und die Königin das Bild gesehen?« fragte er besorgt. »Ich habe Skizzen von den einzelnen gemacht«, antwortete Goya, »die haben sie wohl zu Gesicht bekommen. Das Bild selber habe ich sie während der Arbeit nicht sehen lassen.« – »Entschuldige, Francisco«, sagte Don Miguel. »Ich weiß, Ratgeber sind selten willkommen, aber ich schulde dir Offenheit, und ich kann meinen Rat nicht zurückhalten. Zeige das Bild nicht so, wie es jetzt ist. Ich beschwöre dich.« Und ohne Furcht vor dem Grimm, den er auf Goyas Antlitz aufsteigen sah, fuhr er fort: »Kannst du nicht wenigstens deinen Carlos und deine María Luisa ein bißchen« – er suchte nach dem Wort – »freundlicher machen? Schließlich bist unter uns allen du derjenige, der sie am mildesten sieht.« – »Ich sehe sie nicht mild«, sagte Goya, »und ich sehe sie nicht hart: ich sehe sie, wie sie sind. So sind sie, und so bleiben sie. Für immer.«
Das Gemälde trocknete, es wurde gefirnißt. Señor Julio Dacher, der große französische Rahmenmacher, spannte es in seinen Rahmen. Ein Tag wurde vereinbart, an dem die königliche Familie das Werk besichtigen sollte.
Und dann war Goya ein letztes Mal im »Saal der Ariadne«, lief auf und ab vor seinem vollendeten Werk, wartete.
Die Türen öffneten sich, die Majestäten und KöniglichenHoheiten traten ein. Sie hatten einen Spaziergang in den Gärten gemacht, sie waren einfach gekleidet, mit nur ganz wenig Orden, und in ihrer Begleitung war, auch er sehr schlicht, der Príncipe de la Paz. Ziemlich viel Gefolge, darunter Miguel, kam mit ihnen. Don Carlos, im Eintreten, kramte unter seinem Rock und seiner Weste zwei Uhren hervor, verglich sie und erklärte: »10 Uhr 22. 14. Juni, 10 Uhr 22. Sie haben das Bild rechtzeitig abgeliefert, Don Francisco.«
Da standen sie, die Bourbonen, nicht geordnet wie auf dem Bilde, sondern wahllos durcheinander, und sie schauten sich, die Bourbonen im Fleische, die gemalten an, ein jeder sich selber und ein jeder alle. Und hinter ihnen, in der Wirklichkeit und auf dem Bilde im Schatten, stand der Maler, der sie so geordnet und so gemalt hatte.
Es glitzerte und funkelte von der Leinwand, höchst königlich, und sie standen auf der Leinwand, lebensgroß, mehr als lebensgroß, lebenswahr, mehr als lebenswahr, unverkennbar für jeden, der sie einmal auch nur flüchtig gesehen hatte.
Sie schauten und schwiegen, etwas verwirrt; es war ein großes Bild, noch nie waren sie auf so viel Leinwand gemalt worden und noch nie der einzelne umgeben von so viel anderer Fürstlichkeit.
Don Carlos stand massig in der Mitte, auf dem Bilde und im Saal. Das Ganze gefiel ihm, er selber gefiel sich. Wie wunderbar ist sein kastanienbrauner Staatsrock gemalt, man sieht, daß er aus Samt ist, und wie genau der Griff des Degens und jeder Ordensstern und jedes Ordensband, und er selber wirkt bedeutend, er steht fest da, unerschütterlich, man erkennt, wieviel Kraft und Schmalz in seinen Knochen ist, trotz seiner Jahre und trotz seiner Gicht. Wie ein Fels, denkt er, Yo el Rey de las Españas y de Francia, denkt er. Ein sehr bedeutendes Bild. Schon schickt er sich an, Goya etwas Freundlich-Scherzhaftes zu sagen, aber er wartet doch lieber erst eine Äußerung seiner Doña María Luisa ab.
Sie, die alternde, häßliche, ungeschmückte María Luisa, steht zwischen ihrem Mann, ihrem Freund und ihren Kindern,und ihre schnellen, scharfen
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