Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
schon ähnelte, um die krampfig majestätische Miene des Don Carlos zu unterstreichen, Francisco ihr die pedantisch würdige des unmittelbar hinter ihm stehenden Infantenbruders noch mehr an.
Goya arbeitete mit beharrlichstem Fleiße. Wie damals, als er nach dem Autodafé die fünf Bilder um die Inquisition gemalt hatte, arbeitete er auch jetzt tief in die Nacht hinein beim Schein von Kerzen, die er in listiger Anordnung, so daß sie ihm jedes gewünschte Licht gaben, auf dem Metallschild des niedrigen, zylinderförmigen Hutes befestigt hatte.
Er malte überaus gewissenhaft, doch mit souveräner Verachtung des Nebensächlichen. Man hatte ihn angewiesen, er solle das Gesicht der hohen Braut des Thronfolgers, derenWahl noch nicht feststand, »anonym« halten: er ließ die prunkvoll geschmückte, unbekannte Infantin einfach den Kopf wegdrehen. Des Königs älteste Tochter gar, die abwesende Prinzessin-Regentin von Portugal, hatte er bis ganz zuletzt vergessen. Agustín erinnerte ihn. Francisco winkte ab: »Laß nur, die hab ich in zwei Minuten«, und er malte weiter an dem dicken, verdrossen würdigen Kopfe des Infanten Don Antonio Pascual. Man rief ihn zum Essen, er arbeitete weiter. Der Kopf war fertig, man rief ihn ein zweites Mal. »Setz du dich nur hin«, sagte er zu Agustín, »ich komme sofort, ich male nur noch rasch die Prinzessin-Regentin.« Und wirklich war die Suppe noch warm, als schon, gleichgültig und ausgeprägt-nichtssagend, das fertige Gesicht der Infantin zwischen dem Infanten Antonio und dem langen Erbprinzen Luis hervorlugte.
Auch sich selber in das Bild zu malen, brauchte er weniger als eine Stunde. Vergnügt und verschmitzt dann nickte der lebende Goya dem gemalten zu, der aus dem Dunkel herausschaute, ein bißchen schattenhaft, wie gewünscht, aber sehr kenntlich und gar nicht bescheiden.
Überhaupt war Goya gegen Agustíns Erwartung die ganze Zeit über von gleichmäßig guter Laune. König und Königin taten auch dieses Mal ihr Bestes, ihm die Arbeit zu erleichtern. Sie schickten ihm die Galakleider und einzelne Orden, die er benötigte, und Goya hängte wohl lachend Agustín Band und Kreuz des Goldenen Vlieses um den Hals, oder er steckte zur grimmigen Freude Agustíns einen dicken Lakaien in den Königsrock des Carlos und hieß ihn würdig dastehen gleich Carlos.
Es kam ein Tag, da setzte er die letzten Lichter auf. Und dann fragte er sich und den Freund: »Ist es fertig?«
Agustín schaute. Da waren die dreizehn Bourbonen. Da war die harte, grausame Wahrheit der kläglichen Gesichter und die zauberhafte, betäubende Farbenfülle ihres angeerbten Königtums. »Ja, es ist fertig«, sagte Agustín. »Gleicht es der ›Familie Philipps‹ des van Loo?« fragte Goya und grinste.»Nein«, sagte Agustín und grinste breiter. »Auch nicht den ›Hofdamen‹ des Velázquez«, sagte er, und sein scholleriges Lachen mischte sich in das helle, glückliche Goyas.
»Vielleicht sollte man es Don Miguel zeigen«, schlug Agustín vor; Señor Bermúdez war in Aranjuez bei Don Manuel, und Agustín freute sich auf das verblüffte Gesicht des großen Kenners.
Don Miguel kam, sah, und sein Urteil stand sogleich fest. Das Bild störte ihm das Innere, es stieß ihn ab, es war mit all seiner Kunst barbarisch. Trotzdem zögerte er zu sprechen. War er nicht auch seiner Sache sicher gewesen, als es um Lucía ging, und hatte nicht schließlich doch Francisco recht gehabt mit seinem zweideutigen Porträt? Vielleicht hatte auch mit diesem Bilde Francisco recht, nicht aus wirklichem Kunstwissen heraus, sondern aus der unheimlichen Tiefe seines Instinktes.
»Ein ungewöhnliches Bild«, sagte zuletzt Miguel. »Sehr anders, sehr eigenartig. Aber –« Er verstummte. Dann indes nahm er einen Anlauf. Es war ausgeschlossen, daß seine in der mühsamen Arbeit von Jahrzehnten erworbene Theorie sich dergestalt sollte täuschen können. Er schuldete es der ästhetischen Weisheit der großen Alten, die sich durch zwei Jahrtausende über den Humanismus fortgeerbt hatte auf ihn, Don Miguel Bermúdez, daß er jetzt den Mund auftat gegen diese Barbarei. »Ich bewundere deine Farbengebung, Francisco«, sagte er. »Sie ist gegen die Regel, aber ich räume ein, dieses Getümmel der Lichter, dieser gebändigte Tumult der Farben ist hohe Kunst. Aber warum setzest du deiner Schönheit so viel Abstoßendes auf? Warum zwingst du den Beschauer, so viel Häßliches und Widerwärtiges in Kauf zu nehmen? Ich bin der letzte, der neue
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