Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
entgehen zu lassen. Sogleich also lag der Treiber dem Francisco an, man möge doch, da man keine Eile habe, in Córdoba einen Tag verziehen, um des großen Anblicks teilhaftig zu werden.
Von jeher hatte es Francisco gereizt, Menschen im Unglück zu beobachten; nun er selber im Unglück war, lockte es ihn doppelt. Er beschloß, der Exekution beizuwohnen.
Der Treiber Gil war wie alle seiner Profession gierig nach Neuigkeiten, nach Anekdoten aller Art, und er hatte schon unterwegs Goya mit zahlreichen Geschichten unterhalten. Was er erzählte, wuchs in seinem Munde und nahm Farbe an; »en luengas vías luengas mentiras – auf langen Reisen lange Lügen«. Auch von dem Räuber El Puñal hatte er viel zu berichten gewußt. Jetzt, da die ganze Gegend voll war von Geschichten um diesen Räuber, fügte er neue Züge bei. Der Räuber El Puñal war ein besonders frommer und gottesfürchtiger Räuber, er trug ständig zwei Amulette, einen Rosenkranz und ein geweihtes Bild der »Schmerzensreichen Mutter von Córdoba«, und er spendete gewissenhaft den zehnten Teil seiner Einkünfte in die Opferbüchse, die vor dem »Cristo del Buen Ladrón«, dem »Christus des Guten Räubers«, aufgestellt war, damit auf solche Art die Banditen wenigstens einen Teil ihrer Sünden sühnen könnten. Die Jungfrau hatte auch den Puñal in ihren besondern Schutz genommen, und er wäre niemals von den Soldaten gefangen worden, wenn nicht ein Lump aus seiner Bande, der sich der Polizei verkauft hatte, ihm heimlich im Schlaf seine »Schmerzensreiche Mutter von Córdoba« weggenommen hätte. Und wiewohl die Bevölkerung erleichtert aufatmete, daß sie nun vor dem Räuber sicher war, so hatte trotzdem dieser ihre Sympathie, und die Leute mißbilligten das Vorgehen der Behörden. Die hatten nämlich, falls der Puñal seine Bande den Soldaten in die Hände liefern sollte, ihm und den Seinen Gnade versprochen. Es gelang ihm auch, seine Bande zur Übergabe zu überreden. Aber, erklärten die Behörden, dieRäuber hätten sich nicht dem Puñal ergeben, sondern den mitgeschickten Soldaten, und sie verurteilten ihn zum Garrote, zur Erdrosselung.
Sowie Goya und Gil nach Córdoba gekommen waren, gingen sie ins Gefängnis, den Räuber zu sehen; denn am Tage vor der Hinrichtung durfte jeder, der es wollte, dem Verurteilten Abscheu oder Mitleid aussprechen. Auf dem Gange vor der Todeszelle sammelten Franziskanermönche fromme Gaben, damit Messen für das Seelenheil des Verbrechers gelesen werden könnten. Sie saßen vor ihren Büchsen und Tellern, rauchten ihre Zigarren und riefen zuweilen anfeuernd die Ziffern der bereits eingegangenen Beträge aus.
Die Todeszelle, die Capilla, lag ziemlich dunkel. Ein Tisch war da mit einem Kruzifix, ein Bild der Virgen, zwei Wachskerzen. In der Ecke, auf seiner Pritsche, lag der Puñal. Er hatte die gestreifte Decke bis zum Mund hochgezogen, sichtbar war nur der Oberteil seines Kopfes, wirre Locken, scharfe, schwarze Augen, die unablässig in ihren Höhlen rollten.
Die Wachen forderten Francisco und den Treiber auf, sie sollten Platz machen, andere wollten auch was sehen. Doch Francisco wartete darauf, daß sich der Puñal hochrichte. Er gab ein hohes Trinkgeld, und sie konnten bleiben.
Nach einer Weile richtete sich der Puñal wirklich hoch. Er war beinahe nackt, aber um den Hals hing ihm sowohl der Rosenkranz wie das Amulett der »Schmerzensreichen Mutter«. Ein Junge, erzählten die Wachen, hätte es überbracht, dem hatte es ein Unbekannter gegeben, man hatte den Unbekannten ermittelt, aber der hatte es von einem zweiten Unbekannten bekommen. Offenbar wollte derjenige, der dem Puñal seine »Schmerzensreiche Mutter« gestohlen hatte, ihn nicht ohne sie sterben lassen.
Da also, nach so viel Ruhm und Schande, hockte auf seiner Pritsche der Bandit, beinahe so nackt, wie er zur Welt gekommen war. Auf dem bloßen Leib trug er den Rosenkranz, den man ihm gleich nach der Geburt umgehängt hatte, dasBild der »Schmerzensreichen Mutter«, das er erworben, verloren und an seinem vorletzten Tage zurückerhalten hatte, und die Fesseln und Ketten, welche ihm die Menschen vor seinem Ende angelegt hatten. Die in der Zelle beschimpften ihn und bemitleideten ihn. Er erwiderte nicht. Zuweilen indes hob er den Kopf und sagte: »Es sind nicht die Menschen, die mich umbringen, es sind meine Verbrechen.« Das sagte er wieder und wieder, mechanisch, offenbar hatten es ihn die Mönche so gelehrt. Goya aber sah, daß sein Blick verwildert
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