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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ausgeburten seiner Phantasie. Und er nannte die Blätter nicht mehr »Satiren«, er nannte sie »Ideen, Einfälle, Launen – Caprichos«.
    Bei ihren intimsten Beschäftigungen belauschte er die Gespenster, wenn sie sich besoffen, wenn sie Toilette machten, einander das Fell und die Krallen beschneidend. Sie mußten ihm zeigen, wie sie zum Sabbat ritten, zum Aquelarre, wie sie mittels der Blähungen eines Säuglings das Feuer unter ihrer kochenden Suppe in Gang hielten, mußten ihn einweihen in das Zeremoniell, das zu beobachten war bei dem Besamanos, beim Handkuß des großen Bockes, mußten ihm offenbaren die Mittel und Beschwörungen, die sie anwandten, einen Menschen in ein Tier zu verwandeln, in einen Bock oder eine Katze.
    Häufig brachte er sein Mittag-
    Essen mit in die Ermita,
    Brot und Käse und ein wenig
    Manzanilla-Wein. Dann lud er
    Wohl auch die Gespenster ein, er
    Reichte ihnen Brot und Käse,
    Saß zu Tisch mit ihnen. Nannte
    »Mi amigo – Freund« den Bocksfuß,
    Einen andern riesenhaften
    Teufel nannt’ er »Chico – Kleiner«,
    Und er schwatzte und er spaßte
    Mit den Ungeheuern, er be-
    Fühlte ihre Klaun und Hörner,
    Zupfte sie am Schwanz. Genau be-
    Schaute er die rohen, bösen,
    Dummen Fratzen, ihre wilden,
    Lustigen Gesichter, und in
    Seiner Stille schallend lachte
    Er. Er lachte die Dämonen
    Aus.

21
    Goya hatte sich’s verbeten, daß man ihn in der Ermita aufsuche, es sei denn in einem dringlichen Fall. Nur eine konnte jederzeit kommen: Cayetana.
    Sie erkundigte sich niemals nach seiner Arbeit. Eines Tages aber sagte sie: »Du bist jetzt fast nur noch hier zu finden. Was machst du eigentlich?«
    »Ich zeichne ein paar Einfälle auf«, antwortete er, »Grillen, Spielereien. Das neue Verfahren mit der Aguatinta eignet sich dafür besonders gut. Wie gesagt, es ist nichts von Belang, es sind Hirngespinste, Caprichos.« Er ärgerte sich über sich selber, daß er sein Werk bagatellisierte. Er hoffte, sie werde ihn nicht auffordern, ihr was zu zeigen, und er wartete darauf.
    Sie forderte ihn nicht auf. Da, gegen seinen Willen, sagte er: »Wenn du willst, zeig ich dir das eine oder andere.«
    Er zeigte ihr die Blätter, wahllos, wie sie lagen; solche, die auf sie hinwiesen oder auf sie gedeutet werden konnten, ließ er beiseite. Sie schaute die Blätter an, stumm und schnell, wie das ihre Art war. Vor der Uralten, sehr Häßlichen, die sich in den Spiegel schaut und putzt, sagte sie befriedigt: »Das darfst du sie nicht sehen lassen, deine Doña María Luisa.« Zu den übrigen Zeichnungen äußerte sie nichts.
    Er war enttäuscht. Reichte ihr die Blätter, auf denen sie selber erschien. Sie betrachtete sie mit dem gleichen, freundlichen, unpersönlichen Interesse. Vor dem liebelnden, galante Konversation machenden Paar, das sie und er selber waren, mit den beiden liebelnden Hündchen zu ihren Füßen, meinte sie: »Das wird sie nicht freuen, deine Pepa und Don Manuel.« Für den Bruchteil eines Augenblicks war er überrascht. Aber hatte er’s nicht selber gezeichnet: »Keiner kennt sich«?
    Die Blätter mit den Gespenstern betrachtete sie länger, als sie sonst Bilder zu betrachten pflegte. »Die Brígida hast du gut getroffen«, sagte sie. Doch vor den meisten Blättern blieb sie kühl und sichtlich befremdet. »Merkwürdig«, urteilte sie schließlich. »Spielereien, du hast es selber gesagt. Offen gestanden, ich hatte mir deine Spielereien etwas lustiger vorgestellt. Nous ne sommes pas amusées«, zitierte sie mit einem ganz kleinen, bösen Lächeln. Und dann griff sie nach seinem Heft und schrieb ihm auf: »Offen gestanden, ich finde manches brutal, barbarisch.« – »Und vieles geschmacklos«, ergänzte sie, sprechend, sehr deutlich artikuliert.
    Er stand verblüfft. Er hatte erwartet, sie werde sich angeschauert von den Zeichnungen abkehren; es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie empört gewesen wäre. Aber: barbarisch?, geschmacklos? Da lag vor ihr die Erkenntnis und Frucht dieser seligen und verzweifelten fünf Jahre. Da hatte er, nach überaus gefährlicher Fahrt, sein Amerika entdeckt. Und alles, was sie dazu sagte, war: »geschmacklos«. Das Urteil einer Grandin. Sie durfte den Desmayo tanzen. Sie , wennihr Mann sie ein bißchen störte, durfte ihn umbringen. Aber wenn er die Gespenster, die ihn vernichten wollten, heraufbeschwor und besiegte, dann war das geschmacklos.
    Schon nach Sekunden hatte er seinen Groll hinuntergeschluckt. Er hätte ihre Fremdheit voraussehen müssen,

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