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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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furchtbaren Atem.
    Mit gewaltiger Anstrengung bezwang er sich, saß aufrecht, preßte den Mund zusammen, zog sich den Rock gerade, strich sich die Haare vors Ohr. Er, Francisco Goya, Erster Maler des Königs, Ehrenpräsident der Akademie, macht die Augen nicht zu, verbirgt nicht das Gesicht vor den Gespenstern, er schaut sie an, auch jetzt, nachdem sie ihm seinen Herzensmartín umgebracht haben.
    Er wird fertig mit dem Gezücht, er zwingt es aufs Papier.
    Zeichnet. Zeichnet sich selber, über den Tisch geworfen, das Gesicht in den Armen verbergend, und um ihn herum hockt es, das wüste Getümmel der Nacht, Katzengetier, Vogelgetier, Ungeheuer, Eulen und Fledermäuse, riesig, ihn bedrängend. Aus nächster Nähe bedrängen sie ihn: hockt ihm nicht eines der Ungeheuer schon auf dem Rücken? Aber nur an ihn heran dürfen sie, in ihn hinein dürfen sie nicht mehr. Denn einem der wilden, scheußlichen Vogelgeister hat er einen Stichel in die Krallen gezwungen, einen Griffel. Dienen müssen sie ihm, die Gespenster, müssen ihm selber das Werkzeug reichen, die Waffe, sie zu exerzieren, sie aufs Papier zu bannen, dahin, wo sie nicht mehr schaden können.
    Von nun an fürchtete er sich nicht mehr vor den Gespenstern.Es trieb ihn, sich mit ihnen herumzuraufen, sie vollends kleinzukriegen. Er rief sie, und siehe, sie waren gezähmt, sie kamen. Überall zeigten sie sich ihm. Die wechselnde Bildung der Wolken, wenn er unterwegs war, das Gezweig der Bäume, wenn er in seinem Garten spazierte, das zufällige Gerinnsel im Sand, wenn er sich am Ufer des Manzanares erging, die Flecken an den Wänden der Ermita und die Kringeln der Sonne, alles wurde ihm zu Umriß und Gestalt dessen, was er im Innern trug.
    Er hatte sich von Jugend an mit der Naturgeschichte der Dämonen befaßt, und er kannte ihrer mehr als die meisten andern Künstler und Dichter Spaniens, mehr auch als die Dämonologen, die berufsmäßigen Sachverständigen der Inquisition. Jetzt, seine Scheu überwindend, zwang er auch diejenigen heran, die sich bisher abseits gehalten hatten, und bald kannte er sie alle. Kannte die Alben, Alraunen und Druden, die Lemuren, Wechselbälge und Werwölfe, die Elfen, Feen und Gnomen, die Nachzehrer und Wiedergänger, die Oger und Basilisken. Kannte auch die »soplones – die Blasgeister, die Ohrenbläser«, die widerwärtigsten unter allen Gespenstern, die mit Recht den gleichen Namen hatten wie die Spitzel der Polizei und des Heiligen Offiziums. Kannte aber auch die Duendes und Duendecitos, die putzigen Kobolde, die dankbar und hilfsbereit in der Nacht die häusliche Arbeit ihrer unwillentlichen Gastgeber verrichten.
    Viele der Gespenster trugen menschenhafte Züge, die Merkmale von Freunden und Feinden verwirrend gemischt. Ein und dieselbe Hexe sah ihm jetzt wie Cayetana aus, jetzt wie Pepa, jetzt wie Lucía, ein und derselbe rüpelhafte Geist war ihm bald Don Manuel, bald Don Carlos.
    Oft und gerne kamen Gespenster in kirchlicher Gewandung, als Mönche, als Richter des Heiligen Tribunals, als Prälaten. Gerne auch äfften sie die Riten der Kirche nach und erteilten Kommunion, Salbung, Letzte Ölung. Eine Hexe zeigte sich ihm auf den Schultern eines Satyrs hockend und das Gelübde des Gehorsams ablegend; selige Geister im Ornatvon Bischöfen, schwebend in den Höhen, hielten ihr das Buch vor, aus dem sie schwor, aus der Tiefe eines Sees schauten Novizen singend zu.
    Er verlor den letzten Rest des Schreckens vor den Gespenstern. Und spürte tiefes, höhnisch grimmiges Mitleid mit jenen, die ihr ganzes Leben verbrachten in Furcht vor dem Spuk, vor dem Wahn. Er stellte sie dar, die Menge, die voll Ehrfurcht den Coco anbetet, einen von einem Schneider zu einem Gespenst ausstaffierten Kerl. Er stellte dar das Volk, die Ausgebeuteten, die Armen im Geiste, wie sie blind und endlos geduldig ihre Bedrücker füttern und pflegen, die Chinchillas, die riesigen Ratten, die Granden und Pfaffen, die hirnlosen Faultiere, deren Augen verklebt, deren Ohren mit riesigen Schlössern zugesperrt und deren Glieder gekleidet sind in steife, uralte, kostbare, viel zu lange Gewänder, in denen sie sich nicht rühren können. Er stellte dar die träge, schattenhafte Masse der Untern, der Beherrschten, wie sie dahocken, dumm, dumpf, unbeweglich, während ein Ausgemergelter sich mit letzter Kraft gegen eine ungeheure Steinplatte stemmt, die im nächsten Augenblick stürzen muß, ihn und die ganze Menge zermalmend.
    Immer kühner wurden, immer mehrdeutiger die

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