Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
kein Ehrgeiz, kein Erfolg. Auch die Arbeit nicht; der bloße Geruch der Farben, der Leinwand ödete ihn an.
Er war mit allem fertig, mit seiner Kunst ebenso wie mit Cayetana. Was er zu sagen hatte, war gesagt. Die Caprichos lagen in ihrer Truhe, fertig, abgetan.
Er war nicht fertig mit Cayetana. Ihn kratzte das Unrecht, welches die Königin und Don Manuel an der Toten verübten. Wenn er daran dachte, daß der Doktor und die Dueña im Gefängnis saßen, daß Cayetanas Andenken verschimpfiert war mit wüsten Gerüchten, dann packte ihn Wut. Er durfte der Toten unrecht tun, niemand sonst.
Auch mit den Caprichos war er nicht fertig. »Kunst ist sinnlos, wenn sie nicht wirkt«, hatte Quintana gesagt. Daran war etwas. Wenn einer sein Werk vor dem Beschauer versteckte, das war, wie wenn eine Frau das Kind abwürgte vor der Geburt.
Er spielte mit der Vorstellung, was wohl geschähe, wenn er die Caprichos veröffentlichte. Manchmal, wenn einer eine ganz ungeheure Kühnheit beging, dann machte das die oben starr und lahm. Den frühen Goya, den jungen Goya, hätte gerade das ganz große Wagnis gereizt. Und wenn er jetzt aller Welt zeigte, was er von den Beleidigern Cayetanas hielt, wardas nicht Sühne auch für das, was er selber ihr angetan hatte? Ein Totenopfer? Vielleicht wird dann sogar sie merken, was es für eine Bewandtnis hatte mit den »geschmacklosen« Caprichos, und wird sich zusammen mit ihrer toten Brígida den toten Schädel darüber zerbrechen.
Gewiß, die Caprichos zu veröffentlichen war gegen die Vernunft; das hatten ihm die andern, das hatte er selber sich bündig bewiesen. Aber war er so alt und blutlos geworden, daß er nur mehr nach der Vernunft handelte? War er ein lederner Miguel geworden? Es war seiner nicht würdig, daß er, feig wie ein altes Weib, die Caprichos in der Ermita versteckte.
Er unterbrach Agustíns Arbeit. »Ich habe anspannen lassen«, sagte er. »Du kommst mit. Wir holen die Caprichos herüber in die Quinta.« Der bestürzte Agustín sah sein finsteres, entschlossenes Gesicht und wagte nicht zu fragen.
Sie fuhren schweigend in die Calle de San Bernardino, stiegen die Treppen hinauf zur Ermita und trugen mühevoll, unter den erstaunten Blicken der Hausinsassen, die Platten, die Zeichnungen, die Radierungen, die Truhe, zuletzt die schwere Presse auf die Straße und in den Wagen. Mehrmals mußten sie die engen, steilen Treppen hinauf und hinunter, ehe alles in der Carroza verstaut war. Der Diener Andrés wollte Hand anlegen, Goya wies ihn grimmig zurück. Auch auf der Rückfahrt saß er stumm und finster, die Truhe nicht aus den Augen lassend. Dann, mit Hilfe Agustíns, brachte er alles hinauf in das Atelier der Quinta. Dort stellte er die Truhe an die Wand, so daß sie einem jeden auffallen mußte.
Besucher kamen, die Herzogin von Osuna, der Marqués de San Adrián, andere, die annehmen durften, sie stünden Goya nahe. Er reizte ihrer aller Neugier. »Sie möchten wohl wissen, was da in der Truhe ist«, höhnte er. »Vielleicht zeige ich es Ihnen einmal. Es ist der Mühe wert.«
Auch aus Cádiz stellte sich Besuch ein, der Reeder Sebastián Martínez. Hurtig schrieb er Francisco auf: »Wir beide haben viel verloren, Exzellenz. Ihre Hoheit die Frau Herzogin – eine große Dame, eine wunderbare Dame, die letzte Blüte des altenSpaniens«, und er schaute Goya teilnahmsvoll an. »Ein Jammer«, schrieb er weiter, »wie der Nachlaß dieser großen Dame verstreut wird und verschwindet. Eine ganze Reihe von Bildern sind einfach nicht mehr da. Auch jene geheimnisvolle Nackte Venus von Ihrer Hand, Exzellenz: spurlos und betrüblich verschwunden. Ein Vorschlag: wäre es nicht möglich, daß jetzt ein verlässiger, andächtiger, hochzahlender Kunstkenner wenigstens eine Kopie bekäme?« Goya las, sein Gesicht wölkte sich. Señor Martínez sagte schnell: »Nichts, nichts, ich will nichts gesagt haben«, und er nahm das Blatt und zerriß es.
Teilnahmsvoll und neugierig spähte er in dem kahlen Atelier herum, immer wieder gingen seine Augen nach der Truhe. Schließlich erkundigte er sich, ob man erfahren dürfe, was der Herr Erste Maler in diesen letzten Monaten geschaffen habe. Goya, nach kurzem Nachdenken, lächelte und sagte gnädig: »Das Interesse eines so verständigen und hochzahlenden Sammlers ehrt mich.« Er holte einige Blätter aus der Truhe: die Esels-Folge zuerst, dann mehrere von den Blättern mit den Geschichten der Majas. Und als er sah, wie kennerisch, amüsiert und
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