Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
ergriffen Señor Martínez die Radierungen betrachtete, entschloß er sich und zeigte ihm auch »Cayetanas Himmelfahrt«.
Señor Martínez schnaufte, kicherte, rötete sich. Sagte: »Das muß ich haben! Alles, was in der Truhe ist, muß ich haben! Die Truhe mit dem ganzen Inhalt muß ich haben!« Er überstürzte sich, stammelte, schrieb in fliegender Hast, es ging ihm zu langsam, er fiel ins Sprechen zurück. »Sie haben meine Sammlung gesehen, Don Francisco«, sprach und schrieb er. »Sie müssen zugeben, dieses Ihr Wunderwerk gehört in die Casa Martínez. Plus ultra! war immer der Wahlspruch der Martínez. Plus ultra! ist auch das Motto Ihrer Kunst, Don Francisco. Sie sind höher hinaufgelangt sogar als Murillo! Verkaufen Sie mir die Truhe, Exzellenz! Sie finden keinen würdigeren, andächtigeren Käufer und Kenner.« – »Ich nenne diese Radierungen ›Caprichos‹«, sagte Francisco. »Ein ausgezeichneter Titel«, sagte schnell und enthusiastisch Señor Martínez.»›Die phantastischen Einfälle des Herrn Ersten Malers‹ – wunderbar! Bosch und Breughel und Callot in einem, und das alles spanisch und somit wilder und größer.« – »Aber was wollen Sie denn eigentlich kaufen, Señor?« fragte freundlich Goya. »Sie kennen doch erst ein paar Blätter aus der Sammlung. In der Truhe ist fünf- oder sechsmal soviel. Zehnmal soviel.« – »Ich kaufe alles«, erklärte Señor Martínez. »Alle Platten und Drucke und die Truhe dazu. Das ist ein bindendes Angebot. Machen Sie Ihren Preis, Exzellenz!
Machen Sie ihn hoch, ich knausre
Nicht, wenn’s um ein Werk von Ihrer
Hand geht. Niemand außer diesen
Meinen armen Augen darf Ihr
Wunderwerk jemals erblicken!«
»Falls ich die Caprichos drucken
Sollte und veröffentlichen«,
Sagte Goya, »schick ich einen
Von den ersten Drucken Ihnen.«
Doch: »Den ersten!« flehte und be-
Schwor Señor Martínez ihn. »Den
Ersten! Die drei ersten Drucke!
Und die Platten!« flehte er. »Die
Platten!« Goya hatte Mühe,
Den Erregten aus der Quinta
Fortzuschaffen.
28
In jenem Frühjahr trafen schlimme Nachrichten ein über das Schicksal des Don Gaspar Jovellanos. Der Infant Manuel hatte der Inquisition nicht länger die Erlaubnis versagt, gegen Jovellanos vorzugehen, und eines Nachts war der alte Mann auf seiner Besitzung bei Gijón aus dem Schlaf heraus verhaftetworden. Man hatte den Ketzer den langen Weg nach Barcelona geführt, ihn gefesselt den Augen aller preisgebend, man hatte ihn nach der Insel Mallorca gebracht und in ein Kloster gesperrt, in eine fensterlose Zelle. Der Gebrauch von Büchern, von Papier, jede Berührung mit der Außenwelt war ihm verwehrt.
»Ya es hora – Jetzt ist es Zeit«, sagte Goya zu Agustín. »Ich mache die Caprichos endgültig fertig. Du besorgst mir das Papier, und wir drucken sie zusammen. Ich denke, dreihundert Drucke genügen fürs erste.«
Agustín hatte alle die Wochen her mit Sorge beobachtet, wie sich’s Francisco angelegen sein ließ, seine Besucher hinzuweisen auf den geheimnisvollen Inhalt der Truhe. »Du willst wirklich – ?« stammelte er bestürzt. »Wundert dich das?« höhnte Francisco. »War da nicht einmal einer, der zu mir in die Ermita gerannt kam und herumschrie: ›Verschlammt und verwest und verkommen‹? Damals war dein Don Gaspar nur verbannt: jetzt hockt er gefesselt und ohne Luft und Licht in einem Keller.« – »Du bist verrückt, Francho!« brach Agustín los. »Du darfst uns das nicht antun. Du darfst der Inquisition diese Freude nicht machen.« – »Wir drucken die dreihundert Exemplare!« befahl Goya. »Andere unter meinen Freunden werden genau das für das Richtige halten, für das einzig Mögliche. Ein gewisser Quintana zum Beispiel.« – »Ich hab es gewußt«, klagte bitter Agustín. »Der Weihrauch des Quintana ist dir zu Kopf gestiegen, diese alberne Ode von deiner Unsterblichkeit.« – »Ich scheiße auf die Unsterblichkeit«, sagte ruhig Goya. »So eine gemeine Lüge!« antwortete zornig Agustín. »Schimpf nicht«, sagte, immer auffallend gehalten, Goya. »Erst hast du bei jedem kleinsten Anlaß auf mich eingeredet, ich müsse Politik machen mit meiner Kunst. Und jetzt, wo sie Don Gaspar zu Tode quälen, da soll ich schweigen. So ist es mit euch Politikern und Proyectistas. ›Gelehrte Leute schwatzen, tapfere tun.‹« – »Es wäre schierer Wahnsinn«, ereiferte sich Agustín, »die Caprichos jetzt aus der Truhe zu lassen. Wir sind im Krieg, die Santa kann tun,was sie will. Nimm
Weitere Kostenlose Bücher