Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Vernunft an, Francisco! Ein Mann kann seinen Vater umbringen und vielleicht freikommen: aber einer, der solche Radierungen verbreitet, heute, der begeht Selbstmord.« – »Ich verbitte mir das!« rief Goya. »Ich bin Spanier. Ein Spanier begeht keinen Selbstmord.« – »Es ist Selbstmord«, beharrte Agustín. »Und du weißt es. Und du tust es auch nicht aus Gründen des Anstands und der Politik. Seitdem die Frau fort ist, scheint dir alles kahl, und du willst dir’s farbiger machen durch eine Tollkühnheit. Das ist es. Die Frau allein ist daran schuld. Noch nach ihrem Tode stürzt sie dich ins Unglück!«
Doch nun war Francisco wütend.
»Halt das Maul!« schrie er. »Und wenn du
Dich noch länger weigerst, mir zu
Helfen, such ich einen andern.«
»Such du nur! Du findest keinen!«
Schrie Don Agustín. »Nur ich bin
So verrückt und halt es aus bei
Dir!« Und er verließ den Raum, ver-
Ließ die Quinta, und wiewohl es
Goya doch nicht hören konnte,
Schlug die Türen er gewaltig
Zu.
29
Er lief, seine Scheu überwindend, zu Lucía; sie war die einzige gewesen, die seinerzeit Francisco die tolle Idee hatte ausreden können, die Caprichos zu veröffentlichen.
Er klagte ihr vor, daß Señor de Goya, wohl infolge seines letzten Mißgeschicks, sich nun doch entschlossen habe, die Radierungen zu drucken und zu verbreiten. »Bitte, helfen Sie, Doña Lucía!« beschwor er sie. »Bitte, Señora, lassen Sie ihn nicht ins Elend rennen! Den größten Mann Spaniens!«
Lucía, während er so, hilflos und verstört, daherredete, schaute ihm aufmerksam ins Gesicht. Sah, was in ihm vorging. Er liebte sie, doch in seinem Herzen klagte er sie an, sie habe seine Freunde zugrunde gerichtet, den Abate, Miguel und vor allem Jovellanos. Bestimmt wurmte es ihn, daß er gezwungen war, gerade sie anzuflehen. »Sie sind ein treuer Freund, Don Agustín«, sagte sie. »Ich will tun, was ich kann.«
Lucía glaubte zu begreifen, was Francisco antrieb, die Caprichos nun doch zu veröffentlichen. Er brauchte, um sich aus der Leere und Lähmung seiner Trauer zu reißen, Gefahr und hohes Spiel. Andernteils war er ein Bauer aus Aragón, gewohnt, Kühnheit mit Vorsicht zu verbinden; er wird, auch wenn er sich in ein selbstgewähltes Abenteuer stürzt, eine gute Rüstung nicht verschmähen.
Sie sah eine Möglichkeit, ihn vor der Inquisition zu schützen. Aber ihr Plan erforderte Vorbereitung. Es kam darauf an, Francisco von Übereilungen zurückzuhalten.
Sie ging zu ihm. »Sie wissen natürlich«, sagte sie ihm, »wie gefährlich Ihr Vorhaben ist.« – »Ich weiß es«, antwortete Goya. »Es gibt Mittel«, erklärte sie, »die Gefahr zu verringern.« – »Ich bin kein Knabe mehr«, sagte er. »Ich fasse Glut lieber mit der Zange an als mit nackten Händen. Nur müßte eine Zange da sein.« – »Die Friedensverhandlungen in Amiens«, erläuterte Lucía, »gehen nicht ganz so, wie es den persönlichen Wünschen Don Manuels entspricht. Er brauchte dort einen verlässigen Agenten. Wenn sich Don Miguel jetzt bereit erklärte, wieder mit Don Manuel zu arbeiten, dann könnte er wohl einiges durchsetzen für die Sache des Fortschritts und für einen Mann, der ihm am Herzen liegt.« Goya schaute ihr aufmerksam auf die Lippen. Doña Lucía fuhr fort: »Ich werde in allernächster Zeit eine Tertulia geben, nur für meine intimsten Freunde. Der Infant Manuel wird da sein, Pepa und, ich hoffe, Don Miguel. Darf ich auch auf Sie rechnen und auf Don Agustín?« – »Gewiß werde ich kommen«, sagte Goya, und mit Wärme fuhr er fort: »Sie strengen sich sehr an, Doña Lucía, mich vor den Folgen meinerDummheit zu bewahren. Sogar ein paar Klauseln in den Friedensvertrag wollen Sie dafür einschmuggeln.« Er lächelte übers ganze Gesicht. »Jetzt haben Sie mehr vom Fuchs als vom Löwen«, sagte Lucía, auch sie lächelnd.
Politische Geschäfte waren Lucía geläufig, und die Konstellation war günstig. Auf der Konferenz in Amiens, wo England, Frankreich und Spanien über den europäischen Frieden verhandelten, sollten eine Reihe von Fragen entschieden werden, welche, das war Lucía klar, den Infanten Manuel persönlich nahe angingen. Er wollte Vorteile erreichen für den Papst, von dem er sich eine sehr hohe Ehrung erhoffte. Er hatte Grund, der Königin seine Unentbehrlichkeit zu beweisen, und wollte günstige Bedingungen erzielen für jene italienischen Länder, deren Fürsten mit ihr verwandt waren. Vor allem wohl mußte er wünschen, den
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