Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Besitzstand des Königreichs Neapel zu mehren und aus diesem Land die Truppen des Generals Bonaparte, die Gabachos, hinauszudrängen. Denn wenn ihm das glückte, dann war auch das Hindernis gefallen, welches der geplanten Ehe zwischen dem Thronerben von Neapel und der jüngsten Tochter Doña María Luisas im Wege stand; diese aber, die Infantin Isabel – daraus hatte Don Manuel weder vor Pepa noch vor ihr, Lucía, jemals ein Hehl gemacht –, war ein Kind von ihm, und sicher hing ihm das Herz daran, seiner Tochter eine Königskrone aufzusetzen. Die Interessen Don Manuels deckten sich also nicht immer mit den Interessen Spaniens, und da der Gesandte Azara, der das Reich in Amiens vertrat, nicht eben sein Freund war, brauchte der Infant auf der Konferenz einen Agenten, der auch für seine eigenen, Don Manuels, Belange Verständnis aufbrachte. Lucía war überzeugt: Miguel konnte für die Bereitwilligkeit, als Vertreter des Infanten nach Amiens zu gehen, einen hohen Preis fordern.
Doña Lucía lud Manuel zu ihrer Tertulia und sah befriedigt, wie er aufleuchtete, als sie ihm erzählte, sie rechne auch mit Miguels Teilnahme. Miguel selber zierte sich ein wenig, doch war auch er sichtlich froh um die Gelegenheit, dem Infanten zu begegnen.
Es versammelte sich um Doña Lucía der gleiche kleine Kreis wie an jenem Abend, da sie ihre Freundin Pepa zum ersten Mal mit Don Manuel zusammengebracht hatte; nur der Abate mußte wohl fehlen.
Noch dichter als damals hingen, die Wände hinauf und hinunter, Miguels Gemälde. Unter ihnen Goyas Porträt der Doña Lucía. Erst in der letzten Zeit hatte Miguel schmerzhaft tief die ganze, zauberische Treue dieses Bildes erkannt. Mit unheimlicher Voraussicht hatte Francisco das wahre Wesen Lucías und ihr weiteres Schicksal gewittert; nun war die leibhafte Lucía vollends hineingewachsen in die Frau auf der Leinwand.
Miguels Gesicht blieb auch an diesem Abend, da er Don Manuel unter so günstigen Umständen wiedersehen sollte, klar und freundlich gelassen; doch in seinem Innern war Verwirrung. Er sagte sich vor, er sei ein Glücklicher. Sein großes Lebenswerk, das Künstlerlexikon, war infolge der erzwungenen Muße der letzten Monate nach Wunsch gediehen, es war beinahe vollendet. Und hier, inmitten der Kunstschätze, die er liebte, saß die Frau, die er liebte; die Trübungen zwischen ihnen waren vorbei. Und wenn er sein liebes Amt, aus dem Schatten die Geschicke Spaniens zu lenken, verloren hatte, so war es jetzt an dem, daß ihn der Beleidiger inständig wird bitten müssen, es wieder zu übernehmen. Trotzdem war seiner Erwartung und Freude Beklommenheit beigemischt. Der Boden unter ihm war erschüttert, seine schöne Sicherheit war fort. Wohl konnte er sich und andern mit der alten Bestimmtheit sagen: »Dies ist gut, und jenes ist schlecht«; aber nur mehr seine Stimme war autoritativ.
Sicherheit indes, eine Befriedigung, wie er sie seit langem nicht mehr gespürt hatte, erfüllte an diesem Abend das Herz Agustín Esteves. Er wußte nichts über die Einzelheiten von Lucías Plan, doch war ihm klar, daß sie diese Tertulia veranstaltet hatte, um Francisco zu helfen. Schon daß sich Miguel und Manuel wieder freundschaftlich begegneten, und das in Franciscos Gegenwart, bedeutete vieles. Agustín lobte sich,daß er seine Scheu vor Doña Lucía überwunden und nützliche Schritte getan hatte, Francisco vor den Folgen seiner Dummheit zu schützen. Die eigene Zukunft schien ihm heller, nun ihm dies geglückt war. Vielleicht wird er doch noch ein Maler der Ersten Reihe werden. Er war langsam und schwerfällig, aber gerade diejenigen, die sich langsam entwickelten, erreichten manchmal das Höchste. Und auch wenn er dieses Ziel niemals sollte erreichen können, er wird nicht klagen. Schon daß es ihm vergönnt war, Francisco ein erfolgreicher Beiständer zu sein, war Erfüllung.
Lucía selber hatte Freude an ihrer Tertulia. Ihre Gäste hatten, seitdem sie zum ersten Mal bei ihr versammelt gewesen waren, viele Umschwünge erlebt, sie hatte an diesen Umschwüngen mitgewirkt und war im Begriff, noch mehr Schicksal zu machen, Schicksal des Landes und Schicksal derer um sie. Schade, daß Don Diego nicht hier sein konnte. Der würde den Spaß ganz auskosten, wie Manuel nun selber mithelfen wird, der Welt in den Caprichos das Abbild der eigenen Niedrigkeit für immer aufzubewahren.
Manuel war gekommen mit dem festen Vorsatz, Miguel zurückzugewinnen. Der Príncipe de la Paz war im Begriff, seinem
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