Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
taugen nur, wenn sie in der Erde sind.«
Sehr lüstete ihn, ein Porträt Bayeus zu malen. Er hätte nichts unterschlagen von seiner Würde, seiner zielstrebigen Arbeitsamkeit, seiner Intelligenz, aber er hätte seine Starrheit hineingemalt, seine wassernüchterne Beschränktheit.
Bayeu mittlerweile begann zu reden, mühsam, doch in wohlgerundeten Sätzen wie immer. »Ich sterbe«, sagte er, »ich mache dir den Weg frei. Du wirst Präsident der Akademie; ich habe das mit dem Minister abgesprochen, auch mit Maella und mit Ramón. Maella hätte das Präsidium vor dir verdient, auch mein Bruder Ramón, ich schulde dir diese Offenheit. Zwar bist du begabter, aber du hast keine Zucht und zu viel freches Selbstbewußtsein. Andernteils glaube ich es vor Gott verantworten zu können, daß ich meiner Schwester zuliebe den schlechtern Mann bevorzugt habe.« Er machte eine Pause, das Sprechen fiel ihm schwer, er keuchte. Der Narr, dachte Goya. Ich hätte die Akademie auch ohne ihn bekommen, Don Manuel hätte sie mir verschafft.
»Ich kenne dein ungebärdiges Herz, Francisco Goya«, sprach Bayeu weiter, »und vielleicht ist es gut für dich, daß kein Porträt von dir in der Welt ist von meiner Hand. Aber es werden Zeiten kommen, da du bedauern wirst, meinen lästigen Rat nicht befolgt zu haben. Ich mahne dich ein letztes Mal: Halte dich an die klassische Tradition. Lies jeden Tag ein paar Seiten in der Theorie des Mengs. Ich hinterlasse dir mein Exemplar mit seiner Widmung und vielen Anmerkungen von mir. Du siehst, was er und ich erreicht haben. Bezähme dich. Vielleicht kannst du Gleiches erreichen.«
Goya spürte höhnisches Mitleid. Da spannte dieser arme Mensch noch sein letztes bißchen Kraft an, sich und den andern vorzumachen, er sei ein großer Maler. Unablässig hatte er der »wahren Kunst« nachgestrebt und immer wieder in den Büchern nachgelesen, ob er’s auch recht mache. Er hatte ein gutes Aug und eine geschickte Hand, aber seine Theorie hatte ihm alles verdorben. Du und dein Mengs, dachte Goya, ihr habt mich um Jahre zurückgeworfen. Ein schräger Blick, ein schiefes Maul meines Agustín ist mir wertvoller als eure ganzen Regeln und Prinzipien. Du hast es dir schwer gemacht, du armer Erster Maler, dir und den andern, die Erde wird uns leichter sein, wenn du darunter bist.
Es war, als hätte Bayeu nur darauf gewartet, dem Schwager eine letzte Vorlesung zu halten. Gleich darauf setzte der Todeskampf ein.
Mit schweren Mienen standen Bayeus nächste Freunde und Verwandte, Josefa, Ramón, der Maler Maella, um das niedrige Lager. Francisco Goya betrachtete unguten Auges den Röchelnden. Diese Nase hatte keine Witterung, diese zum Mund hinunterlaufenden Falten sprachen von einer Anstrengung, die nicht gesegnet war, diese Lippen konnten nur schulmeisterlich strenge Worte von sich geben. Auch die Berührung des Todes machte dieses hagere Gesicht nicht bedeutender.
König Carlos hatte seinen Ersten Maler sehr geschätzt; er gab Weisung, ihn zu bestatten wie einen Granden des Reichs.Der tote Francisco Bayeu wurde beerdigt in der Krypta der Kirche San Juan Bautista, an der Seite des größten Malers, den die Halbinsel hervorgebracht hatte, des Don Diego Velázquez.
Die Verwandten des Toten und seine wenigen Freunde hielten Umschau in seinem Atelier, um zu beraten, was mit seinen hinterlassenen Werken geschehen sollte. Es gab da eine große Anzahl vollendeter und nicht vollendeter Bilder. Was die Beschauer am meisten anzog, war ein Gemälde, in dem sich Bayeu selber dargestellt hatte, vor der Staffelei. Wiewohl manche Details, die Palette, der Pinsel, die Weste, mit besonderer Sorgfalt ausgeführt waren, so war das Bild offenbar nicht vollendet; der gewissenhafte Mann war mit seinem Gesicht nicht fertig geworden. Halbfertig, aus toten Augen, wie schon vor der Geburt verwest, starrte der Kopf auf die Beschauer. »Welch ein Jammer«, sagte nach einer Weile Ramón, »daß es unserm Bruder nicht vergönnt war, dieses Bild fertigzumachen.« – »Ich werde es fertigmachen«, sagte Goya. Die andern schauten hoch, überrascht, nicht ohne Bedenken. Doch schon hatte sich Goya der Leinwand bemächtigt.
Lange malte er an dem Bild Bayeus, unter den Augen Agustíns. Er wahrte Pietät, er änderte nicht viel an dem Vorhandenen. Nur um ein winziges finsterer wurden die Brauen, um ein winziges tiefer und müder die Furchen von der Nase zum Mund, um ein winziges eigensinniger das Kinn, um ein winziges mürrischer senkten sich die
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