Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Mundwinkel. Wohl arbeiteten Haß und Liebe an dem Werk, aber sie trübten nicht das kalte, kühne, unbestechliche Aug des Malers. Was schließlich entstand, war das Porträt eines grämlichen, kränklichen, ältlichen Herrn, der sich sein ganzes Leben hindurch abgeplagt hatte und der nun müde war der Würde und der ewigen Mühe, aber doch zu pflichtbewußt, um auszuruhen.
Agustín Esteve stand neben Goya und besah das vollendete Werk. Von der Leinwand schaute repräsentativ ein Mann, der von der Welt mehr verlangte, als ihm zukam, von sich selbermehr, als er geben konnte. Alles aber war getränkt in eine silbrige Heiterkeit, herrührend von Franciscos neuentdecktem, lichtem, schwebendem Grau, und hämisch nahm Agustín wahr, wie diese souveräne, silbrige Leichtigkeit die Härte des Gesichtes unterstrich und die lehrhafte Nüchternheit der den Pinsel haltenden Hand. So wenig anziehend der Mann war, den das Porträt wiedergab, so anziehend war das Bild. »Das hast du großartig gemacht, Francho«, brach Agustín aus, bewundernd, vergnügt.
Lange stand und stumm Josefa
Vor dem Bild des Bruders. Goya
Fragte: »Habe ich dem Toten
G’nug getan?« Josefa saugte
An der Oberlippe. »Was soll
Mit dem Bild geschehen?« fragte
Sie. »Es ist dein eigen«, gab er
Antwort, und Josefa sagte:
»Danke.«
Sie bedachte, wo das
Bild wohl hängen solle. Lange
Fand sie keinen rechten Platz, und
Schließlich schickte sie es ihrem
Bruder Manuel Bayeu nach
Saragossa.
13
Goya wartete peinvoll auf eine Nachricht aus dem Escorial, doch Cayetana schwieg, und die Langeweile der Trauerwochen verschärfte seine Nervosität.
Da stellte sich unverhofft ein Besucher aus der Heimat ein, Martín Zapater.
Als Goya seines Herzens-Martín ansichtig wurde, umarmte er ihn stürmisch, rief alle Heiligen zu Zeugen seinerFreude an, küßte ihn, drückte ihn in einen Sessel, riß ihn wieder hoch, schleifte ihn untergefaßt durch das Atelier.
Goya war bei allem Stolz mitteilsamer Natur. Oft und gerne sprach er sich aus vor Josefa, vor Agustín, vor Miguel. Doch sein Letztes, seine heimlichste Eitelkeit und sein heimlichstes Ungenügen, konnte er nur mit seinem Freund und Aberfreund bereden, mit Martín. Hundert Fragen stellte er dem stattlichen, behäbigen, gutmütigen, würdigen Mann, und er selber erzählte wild durcheinander, während Agustín neidisch und eifersüchtig zuhörte.
Seitdem der sechsjährige Francisco aus seinem Dorfe Fuendetodos nach Saragossa gekommen war, waren er und Martín Zapater befreundet. Sie hatten zusammen in der Schule des Fray Joaquín lesen und schreiben gelernt, aber sie hatten zwei feindlichen Banden angehört, Goya der Bande Unserer Jungfrau del Pilar, Zapater der des Heiligen Luis. Nachdem der kleine Goya einmal den kleinen Zapater furchtbar verhauen hatte, war dieser voll Bewunderung zu seiner Bande übergegangen, seither waren sie engste Freunde. Francisco gab Martín die erregende Nähe seiner starken, unberechenbaren Persönlichkeit, der vernünftige Martín gab praktischen Rat und leistete sachliche Dienste. Francisco war aus armer Familie, Martín aus wohlhabendem, angesehenem Bürgerhaus. Von frühester Jugend an glaubte Martín an die künstlerische Berufung Goyas; auf den Zuspruch Vater Zapaters hatte Graf Pignatelli, der Mäzen von Saragossa, dem kleinen Francisco Zeichen- und Malunterricht geben lassen.
»Ganz unverändert bist du, Kleiner«, sagte jetzt Goya zu Zapater, der ihn um Haupteslänge überragte. »Nur die Riesennase, el narigón, ist noch riesiger geworden. Stattlich schaust du drein, würdig, man sieht alle die großen Familien Saragossas hinter dir, die Salvadores und die Grasas und die Aznárez.« – »Ich hoffe«, gelang es Martín einzuwerfen, »auch das Castel und die Lonja und den Puente.« – »Alles«, antwortete herzlich Francisco, und in Wahrheit sah er im Geiste deutlich die Stadt seiner Jugend, Saragossa, mit ihrermüden Großartigkeit, ihrem Schmutz und Staub, mit ihren maurischen Kirchtürmen, mit der uralten Brücke über dem trägen, grüngrauen Ebro-Fluß, mit der staubigen, mattfarbenen Ebene und den fernen Bergen dahinter.
Beide, nun sie zusammen waren, wurden zu Knaben. Wieder lag das Leben abenteuerlich reizvoll vor ihnen, und hinter jeder Ecke lauerte etwas Neues, das man ausfinden, mit dem man sich herumraufen, das man erobern mußte. Beide spürten sie, wie sehr sie einander brauchten. Francisco brauchte die erdnahe Vernunft des Freundes, seine immer
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