Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
recht. Es könnte nur Schaden bringen, den Krieg weiterzuführen, und es gibt kein furchtbareres Verbrechen als einen unnötigen Krieg. Es fällt mir schwer, eine Dame zu bitten, sich die Schrecknisse des Krieges vorzustellen. Aber lassen Sie mich einige Sätze zitieren aus einem Schriftsteller, dem größten dieses Jahrhunderts.« Und er zitierte: »›Candide kroch über einen Haufen von Sterbenden und Toten und erreichte ein Dorf, das in Schutt und Asche fiel: die Feinde brannten es nach allen Regeln des Völkerrechts nieder. Männer, unter Hieben gekrümmt, schauten mit an, wie ihre Frauen erdrosselt starben, ihre Kinder an die blutenden Brüste pressend. Mädchen, mit aufgeschlitztenBäuchen, verendeten, nachdem sie die natürlichen Bedürfnisse einiger Helden befriedigt hatten; andere, halb verbrannt, flehten um den Gnadenstoß. Die Erde war voll von verspritztem Gehirn und abgehackten Armen und Beinen.‹ Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, die unbehagliche Schilderung. Doch kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: der Mann hat recht. Und ich darf Ihnen weiter sagen, Dinge, wie er sie schildert, geschehen jetzt, eben jetzt, in dieser Nacht, in unsern nördlichen Provinzen.«
Es war taktlos, aber es entbehrte nicht der Pikanterie, daß Señor de Jovellanos ohne Furcht vor der Inquisition den verbotensten Schriftsteller der Welt zitierte, Monsieur de Voltaire, und das im Palais der Herzogin von Alba. Es war ein angeregter Abend, und man blieb länger zusammen.
Goya indes empfand die Worte des Jovellanos als eine Warnung vor der Alba. Was diese Frau tat, was sie sprach, war unheilvoll. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Er schickte sich an zu gehen, endgültig.
Da wandte sich Cayetana an ihn. Leicht mit der Hand rührte sie ihm den Ärmel, die andere spielte mit dem Fächer, einladend.
Und sie sagte: »Hören Sie, ich
Hab was falsch gemacht. Ich bat Sie,
Mich zu malen, wenn ich aus dem
Escorial zurück sein würde.«
Staunend schaute er, verwirrt, sie
An, gefaßt auf eine neue
Teufelei. Doch sie, vertraulich,
Dringlich, nah an ihm, sprach weiter:
»Das war falsch, das war ein Irrtum;
Ich bereu ihn, und ich bitte
Sie, mir zu verzeihn. Ich kann so
Lang nicht warten, Don Francisco.
Hören Sie, entweder schaff ich
Eine Einladung für Sie zu
Hofe, oder ich komm selber
Bald hierher zurück. Sie müssen,
Und sogleich, mich malen, hören
Sie, Francisco, und wir müssen
Was zustande bringen, daß die
Freunde stehen offnen Mundes.«
12
Wenn Goya, wie an den meisten Tagen, die Hauptmahlzeit im Kreise der Seinen einnahm, dann war er von Kopf bis zu Fuß Familienvater und freute sich seiner Frau Josefa, seiner Kinder, des Essens und des Trinkens und des Tischgespräches. Heute indes verlief die Mahlzeit trübselig, und die Tafelrunde, Goya, Josefa, die drei Kinder und der dürre Agustín, blieb einsilbig. Meldung war gekommen, Francisco Bayeu, Josefas Bruder, seit langem leidend, habe höchstens noch zwei oder drei Tage zu leben.
Goya beschaute seine Frau von der Seite. Sie saß aufrecht, wie stets, das lange Gesicht zeigte nichts von ihren Empfindungen. Die hellen, lebendigen Augen schauten geradeaus, der schmallippige Mund unter der großen Nase war streng geschlossen, ein wenig saugte sie an der Oberlippe, und das Kinn war vielleicht noch spitzer als sonst. Das goldenrote Haar hatte sie in schweren Zöpfen über der hohen Stirn geknotet, gleich einer altertümlichen Priestermütze lief es schräg nach rückwärts. In Saragossa, als ihre Ehe noch jung gewesen war, hatte er sie einmal als Heilige Jungfrau gemalt, in Anmut strahlend, mit zweien ihrer Kinder als den Jesusknaben und den kleinen Johannes. Seither hatte er zwanzig Jahre mit ihr gelebt, durch Hoffnungen und Enttäuschungen, durch schlechte Zeiten und durch gute, und sie hatte ihm Kinder geboren, lebendige und tote. Aber wie er sie damals gesehen hatte, so, manchmal, sah er sie noch jetzt; trotz der vielen Schwangerschaften war um die Dreiundvierzigjährigeein mädchenhaft Zartes, Kindliches, eine strenge Lieblichkeit.
Er wußte genau, was heute in Josefa vorging, und spürte Mitleid. Sie verlor viel mit ihrem Bruder. Wenn sie sich in ihn, Goya, verliebt hatte, dann nur in den Mann, in seine Kraft, seinen Trotz, die Fülle seines Wesens: von dem Maler Goya aber hatte sie nie viel gehalten. Um so tiefer glaubte sie an das Genie ihres Bruders; er, Francisco Bayeu, Erster Maler des Königs, Präsident der Akademie, der
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