Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
berühmteste Künstler des Landes, blieb für sie das Haupt der Familie; von ihm kam alles Ansehen auch des Hauses Goya, und daß sich Goya gegen ihn und seine Theorien auflehnte, war Josefa stetes Herzeleid.
Sie hatte unverkennbare Ähnlichkeit mit ihrem Bruder. Doch was Goya an diesem unleidlich war, gefiel ihm an Josefa. So aufreizend eingebildet und starrsinnig er den Schwager fand: daß sie stolz war auf ihre geachtete Familie, daß sie hartnäckig und zugesperrt war, erhöhte ihren Reiz. Er liebte sie, weil sie war, wie sie war, weil sie eine Bayeu aus Saragossa war. Oft hatte er unwillkommene Aufträge angenommen, nur weil er ihr hatte zeigen wollen, daß er die Mittel herbeischaffen konnte für das breite Leben, das einer Bayeu anstand.
Niemals hielt ihm Josefa seine künstlerische Unzulänglichkeit vor, niemals seine vielen Beziehungen zu Weibern. Ihm war ihre strenge Ergebenheit selbstverständlich. Eine Frau, die einen Francisco Goya heiratete, mußte sich klar darüber sein, daß er kein Pflichtmensch war, sondern ein Mann.
Dafür hatte sich um so häufiger Bayeu in Goyas Leben einzumischen versucht. Doch dieser hatte dem Schwager, dem Herrn Ersten Maler des Königs, dem Herrn Schulmeister und Pflichtmenschen, kräftig heimgeleuchtet. Was wollte der Schwager? Schlief er, Goya, nicht mit seiner Frau, sooft diese wünschte, ja noch häufiger? Machte er ihr nicht alle Jahre ein Kind? Teilte er nicht den Tisch mit ihr? Hielt er sienicht besser als standesgemäß? Sie war sparsam, man konnte schon sagen, geizig; kein Wunder bei der Schwester des Herrn Pflichtmenschen. Hatte er sie nicht geradezu zwingen müssen, im Bett zu frühstücken? Schokolade, auf aristokratische Art? Beste Schokolade, Moho-Schokolade aus Bolivia, von dem Händler im Hause vor Josefas Augen pulverisiert? Bayeu hatte hochmütig erwidert, er hatte auf die dörfliche Abstammung Goyas angespielt, hatte eine Dame, mit welcher Goya zu tun hatte, mit einem verächtlichen Wort bezeichnet, und Goya hatte sich genötigt gesehen, den Schwager am Halse zu packen und zu schütteln; dabei hatte dessen silberbestickter Frack Risse bekommen.
Nun war Doña Josefa im Begriff, den Bruder zu verlieren, und damit schwand ein großer Glanz aus ihrem Leben. Sie aber saß unbewegten Gesichtes, in guter Haltung, und Goya liebte und bewunderte sie darum.
Allmählich bedrückte ihn die Schweigsamkeit und Trübsal der Tafelrunde. Unvermittelt erklärte er, man solle die Mahlzeit ohne ihn beenden, er wolle zu Bayeu. Doña Josefa schaute hoch. Dann glaubte sie zu verstehen. War befriedigt; offenbar wollte Francisco den Sterbenden in einem Gespräch ohne Zeugen um Verzeihung bitten für alles, was er ihm angetan hatte.
Goya fand den Schwager gebettet auf niedrigem Lager, gestützt durch viele Kissen. Das magere, gelblichgraue Gesicht war noch verfurchter als sonst, verdrossen, streng, leidend.
Goya nahm wahr, daß das vertraute Bild an der Wand, darstellend den Heiligen Franziskus, mit dem Kopf nach unten hing; ein alter Volksglaube besagte, nur solche Gewaltmaßnahmen könnten den Heiligen zu tätiger Hilfe anspornen. Schwerlich versprach sich der gebildete, dürr verständige Schwager Hilfe von dergleichen, er hatte denn auch die besten Ärzte konsultiert, doch scheute er sichtlich selbst vor dem abwegigsten Mittel nicht zurück, um sein Leben der Familie, dem Lande und der Kunst zu erhalten.
Goya befahl sich, den Sterbenden zu bedauern; er war derBruder seiner Frau, er hatte es gut mit ihm gemeint und ihm manchmal wirksam geholfen. Aber er konnte sich kein Mitleid abzwingen. Dieser Kranke hatte ihm das Leben nach Kräften vergällt. Wie einen dummen, aufsässigen Schüler hatte dieser Bayeu ihn zurechtgewiesen, wieder und wieder, vor dem ganzen Domkapitel, damals als sie die Fresken der Kathedrale von Saragossa malten. Noch jetzt brannte ihn die »sarna«, die Schande, die Krätze, der kratzende Grind jenes Erlebnisses. Und dann hatte dieser Sterbende ihm obendrein die Frau entfremden wollen, Josefa, hatte ihr zeigen wollen, wie verachtet ihr Mann war und wie hochgeehrt ihr Bruder. Hatte bewirkt, daß das Domkapitel ihm, Goya, seinen Lohn vor die Füße warf und ihn mit Schanden fortjagte; seiner Frau indes schenkten die gleichen geistlichen Herren eine goldene Medaille »als der Schwester unseres großen Meisters Bayeu«. Grimmig sagte sich, auf den Leidenden, Sterbenden hinunterschauend, Goya das alte, gute Sprichwort vor: »Ein Schwager und ein Pflug
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