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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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gelockt? Wie hatte er allein zwei Leichen beseitigen können? Auf all diese Fragen gab es Antworten – die Zeit hatte nur dazu gereicht, zwei Leichen zu beseitigen, er hatte die Opfer tief in den Wald gejagt –, trotzdem wirkte es etwas konstruiert. Bei den Morden in Indiana und Virginia war schon vor der Verhandlung klar, dass er verurteilt werden würde.

    Kurz vor Mitternacht rief Lucy an.
    »Bist du mit der Aussage von Mrs Perez noch weitergekommen?«, fragte sie.
    »Ich habe noch mit Jorge Perez gesprochen. Der rückt aber auch nicht mit der Sprache raus. Aber du hattest Recht. Die beiden lügen.«
    »Und jetzt?«
    »Ich treff mich mit Wayne.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Morgen Vormittag.«
    Schweigen.
    »Lucy?«
    »Ja.«
    »Als sie ihn damals verhaftet haben, was hast du dir da gedacht?«
    »Wie meinst du das?«
    »Wayne war damals so um die zwanzig, oder?«
    »Ja.«
    »Ich war Betreuer in der roten Hütte«, sagte ich. »Er war unten in der gelben. Ich hab ihn jeden Tag gesehen. Eine Woche lang waren wir gemeinsam für den Basketballplatz zuständig. Ich fand ihn zwar ein bisschen seltsam. Aber ein Mörder?«
    »Das steht denen ja nicht auf die Stirn geschrieben oder so. Du hast doch genug mit Verbrechern zu tun. Du müsstest das doch eigentlich wissen.«
    »Eigentlich schon. Du kanntest ihn auch, oder?«
    »Ja.«
    »Was hast du von ihm gehalten?«
    »Ich habe ihn für einen Idioten gehalten.«
    Gegen meinen Willen musste ich lächeln. »Hättest du gedacht, dass er zu so etwas fähig wäre?«

    »Wozu? Menschen die Kehle aufzuschlitzen und sie lebendig zu begraben? Nein, Cope, das hätte ich nicht gedacht.«
    »Gil Perez hat er nicht umgebracht.«
    »Aber die anderen. Und das weißt du auch.«
    »Irgendwie schon.«
    »Na komm, du weißt, dass er Margot und Doug umgebracht hat. Wie soll das denn sonst gelaufen sein – er war zufällig in einem Ferienlager, in dem Menschen ermordet wurden, und das fand er dann so klasse, dass er sich überlegt hat, es selber mal zu probieren?«
    »Ganz ausgeschlossen wäre es nicht«, sagte ich.
    »Was?«
    »Vielleicht haben diese Morde irgendwas in Wayne ausgelöst, das sowieso in ihm angelegt war. Vielleicht hatte er das Potential dazu, und der Sommer, in dem Menschen die Kehlen durchgeschnitten wurden, ist so eine Art Katalysator gewesen.«
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Nicht ganz, aber wer weiß?«
    »Aber an eine Sache kann ich mich noch ganz genau erinnern«, sagte Lucy.
    »Was?«
    »Wayne war ein pathologischer Lügner. Das hab ich damals schon gemerkt, obwohl ich den Fachbegriff dafür erst seit meinem Psychologiestudium kenne. Aber das ist mir damals schon aufgefallen. Erinnerst du dich noch daran? Er hat immer gelogen. Einfach um zu lügen. Das war seine natürliche Reaktion. Er log sogar, wenn man ihn fragte, was er zum Frühstück gegessen hatte.«
    Ich überlegte. »Ja, ich erinnere mich. Zum Teil gehörte diese Angeberei in so einem Ferienlager zum guten Ton. Wayne stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus und wollte mit denen, die sich durchs Leben schlagen mussten, klarkommen. Er hat behauptet, dass er Drogendealer und Mitglied einer Straßengang
ist. Und dass eine Exfreundin von ihm im Playboy gewesen wäre. Eigentlich hat er die ganze Zeit nur irgendwelchen Mist erzählt.«
    »Denk dran«, sagte sie, »wenn du mit ihm sprichst.«
    »Mach ich.«
    Schweigen. Die Leichen waren in ihre Gräber zurückgekehrt. Vorerst jedenfalls. Jetzt regten sich andere Gefühle, die lange geschlummert hatten. Ich hatte noch Gefühle für Lucy. Ich weiß nicht, ob sie echt waren, der Nostalgie entsprangen oder nur das Ergebnis dieser Stresssituation waren, aber irgendetwas war da, das ich nicht einfach ignorieren wollte, wobei ich wusste, dass ich zumindest vorerst keine andere Wahl hatte.
    »Bist du noch da?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Das ist immer noch komisch, oder? Das mit uns, meine ich.«
    »Ja, ist es.«
    »Nur damit du’s weißt«, sagte Lucy. »Du bist nicht allein. Ich bin bei dir, okay?«
    »Okay.«
    »Hilft dir das?«
    »Ja. Und dir?«
    »Klar. Es wäre doch Scheiße, wenn es nur mir so gehen würde.«
    Ich lächelte.
    »Gute Nacht, Cope.«
    »Gute Nacht, Luce.«

    Als Serienmörder – oder wenigstens als Mensch mit einem schwer gestörten Bewusstsein – lebte man offenbar relativ stressfrei, denn Wayne Steubens war in den zwanzig Jahren kaum gealtert. Er war damals ein attraktiver junger Mann gewesen, und so
sah er immer noch aus. Er hatte

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