Grab im Wald
dem Rücksitz vom Volkswagen Blut gefunden. Die Untersuchungen laufen und werden ergeben, dass es von Perez stammt. Zweitens hat das Personal im Heim bestätigt, dass Perez – der sich im Gästebuch als Manolo Santiago eingetragen hat – am Tag vor dem Mord bei Silver-stein zu Besuch war. Ein paar Angestellte haben auch bestätigt, dass sie gesehen haben, wie Silverstein am nächsten Morgen mit dem Volkswagen weggefahren ist. Es war seit sechs Monaten das erste Mal, dass er das Heim verlassen hat.«
Ich verzog das Gesicht. »Und da haben sie seiner Tochter nichts davon gesagt?«
»Die Leute, die das mitgekriegt haben, sind nicht im Dienst gewesen, als Lucy das nächste Mal bei Ira zu Besuch war. Außerdem haben sie mir immer wieder erzählt, dass Silverstein nicht für unzurechnungsfähig erklärt worden ist oder so was. Er konnte kommen und gehen, wann und wie er wollte.«
»Ich versteh das trotzdem nicht. Warum sollte Ira Gil umbringen wollen?«
»Ich vermute, aus dem gleichen Grund, aus dem er auch Sie umbringen wollte. Sie haben beide noch mal genauer hingeguckt, was damals im Ferienlager wirklich passiert ist. Und das hat Mr Silverstein offensichtlich nicht gefallen.«
Ich versuchte, mir aus diesen Daten ein Bild zu machen. »Also war Ira auch der Mörder von Margot Green und Doug Billingham?«
York wartete noch einen Moment, als wollte er mir die Gelegenheit geben, auch noch meine Schwester hinzuzufügen.
»Wäre möglich.«
»Und was ist mit Wayne Steubens?«
»Keine Ahnung, wahrscheinlich haben die beiden irgendwie zusammengearbeitet. Ich weiß nur, dass Ira Silverstein mein Opfer umgebracht hat. Ach, und noch was: Die Pistole, mit der Ira auf Sie geschossen hat, hat das gleiche Kaliber wie die, mit der Gil Perez erschossen worden ist. Die ballistischen Tests laufen noch, aber Sie wissen so gut wie ich, dass wir eine Übereinstimmung finden werden. Wenn man dann noch das Blut auf den Rücksitz vom Käfer dazu nimmt und das Überwachungsvideo in der Nähe des Leichenfundorts … Na ja, das ist schon fast Overkill. Aber hey, Ira Silverstein ist tot, und wie Sie wissen, ist es sehr schwierig, gegen einen Toten mit juristischen Mitteln vorzugehen. Was Ira Silverstein vor zwanzig Jahren getan oder auch nicht getan hat …«, York zuckte die Achseln, »… na ja, neugierig bin ich schon. Aber darum muss sich jemand anders kümmern.«
»Helfen Sie uns, wenn wir Hilfe brauchen?«
»Klar. Gern sogar. Und wenn Sie rausgekriegt haben, was da passiert ist, können Sie ja mal nach New York kommen, dann lad ich Sie auf ein Steak ein.«
»Wird gemacht.«
Wir schüttelten uns die Hände.
»Ich muss mich noch bei Ihnen bedanken, dass Sie mir das Leben gerettet haben«, sagte ich.
»Ja, das müssten Sie. Ich glaube aber nicht, dass es mein Verdienst war.«
Ich erinnerte mich an Iras Miene und die Entschlossenheit, die darin lag. York hatte sie auch gesehen – Ira hätte mich erschossen, die Folgen interessierten ihn nicht. Nicht York und seine Pistole hatten mich gerettet, sondern Lucys Stimme.
York ging. Ich war allein im Krankenhauszimmer. Wahrscheinlich gibt es noch deprimierendere Orte, an denen man sich aufhalten kann, wenn man allein ist, allerdings fiel mir keiner ein. Ich dachte an meine Jane und an ihre Tapferkeit – obwohl genau das das Einzige war, was sie wirklich gefürchtet hatte. Sie hatte eine Heidenangst davor gehabt, in einem Krankenhauszimmer allein zu sein. Also war ich die ganze Nacht bei ihr geblieben. Ich hatte auf einem dieser Sessel geschlafen, die man zum unbequemsten Bett auf Gottes grüner Erde umbauen konnte. Ich sage das nicht, um Applaus zu bekommen. Es war der einzige Moment, in dem Jane Schwäche gezeigt hatte. Bei dieser ersten Übernachtung im Krankenhaus hatte sie meine Hand ergriffen und versucht, die Verzweiflung in ihrer Stimme zu unterdrücken, als sie sagte: »Bitte lass mich hier nicht allein.«
Also habe ich sie nicht alleingelassen. Damals noch nicht. Erst viel später, als sie wieder nach Hause gekommen war, weil sie dort sterben wollte, weil der Gedanke daran, allein in einem Krankenhauszimmer zu sein …
Jetzt war ich an der Reihe. Ich war allein im Krankenhaus.
Es jagte mir im Moment keine allzu große Angst ein. Aber ich dachte darüber nach, wohin mein Leben mich gebracht hatte. Wer würde sich um mich kümmern, wenn es mir schlecht ging? Wer würde bei mir neben dem Bett sitzen, wenn ich im Krankenhaus aufwachte? Die ersten Namen, die mir in den
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