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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Sinn kamen, waren Greta und Bob. Als ich mich letztes Jahr beim Aufschneiden eines Bagels verletzt hatte, war Bob sofort zur Stelle gewesen und hatte mich zum Arzt gefahren, während Greta sich um Cara gekümmert hatte. Sie waren jetzt meine Familie – andere Verwandte hatte ich nicht. Und auch die waren nicht mehr für mich da.
    Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich im Krankenhaus gelegen hatte. Da war ich zwölf Jahre alt gewesen und hatte Gelenkrheumatismus. Das war damals schon eine ziemlich seltene Krankheit, die seitdem noch seltener geworden ist. Ich musste zehn Tage im Krankenhaus bleiben. Ich weiß noch, dass Camille mich oft besuchen kam. Manchmal hatte sie ein paar ihrer nervigen Freundinnen mitgebracht, weil sie wusste, dass mich das ablenkte. Wir haben viel Boggle gespielt. Die Jungs aus ihrer Klassenstufe waren alle hinter Camille her. Sie brachte mir immer die Kassetten mit, die sie für sie aufgenommen hatten – mit Musik von Steely Dan, Supertramp oder den Doobie Brothers. Camille erzählte mir dann, welche Bands toll und welche lahm waren, und ihr Geschmack war für mich fast eine Art biblisches Gesetz, an das ich mich unbedingt halten musste.
    Hatte sie da im Wald gelitten?
    Diese Frage hatte ich mir immer wieder gestellt. Was hatte Wayne Steubens ihr angetan? Hatte er sie gefesselt und zu Tode geängstigt, wie er es mit Margot Greene gemacht hatte? Hatte sie sich gewehrt und Wunden an Händen und Armen gehabt wie Doug Billingham? Hatte er sie lebendig begraben wie seine Opfer in Indiana oder Virginia? Wie viel Schmerz hatte Camille erlitten? Wie angsterfüllt waren ihre letzten Augenblicke gewesen?
    Und jetzt … die neue Frage: War Camille irgendwie lebend aus dem Wald rausgekommen?
    Ich dachte an Lucy. Ich überlegte, wie sie jetzt litt, nachdem sie zusehen musste, wie ihr geliebter Vater sich den Kopf weggeschossen hatte. Bestimmt grübelte sie auch noch darüber, welche Gründe es dafür gab. Ich wollte Kontakt zu ihr aufnehmen, ihr helfen und versuchen, sie ein bisschen zu beruhigen.
    Es klopfte.
    »Herein.«
    Ich hatte eine Krankenschwester erwartet. Es war keine. Es war Muse. Ich lächelte ihr zu. Ich dachte, sie würde das Lächeln erwidern. Das tat sie nicht. Ihre Miene hätte nicht verstockter sein können.
    »Sie brauchen nicht so böse zu gucken«, sagte ich. »Mir geht’s gut.«
    Muse trat näher ans Bett. Ihre Miene veränderte sich nicht.
    »Ich hab gesagt …«
    »Ich hab schon mit dem Arzt gesprochen. Er meinte, vielleicht müssen Sie nicht mal über Nacht bleiben.«
    »Und wie erklärt sich dann dieser finstere Blick?«
    Muse schnappte sich einen Stuhl und stellte ihn neben das Bett. »Wir müssen miteinander reden.«

    Ich hatte dieses Gesicht bei Loren Muse schon zuvor gesehen.
    Es war ihre Killermiene, ihr »Das Schwein schnapp ich mir«-Gesicht, ihr »Mich kannst du nicht an der Nase herumführen«-Ausdruck. Ich hatte gesehen, wie sie Mörder, Vergewaltiger und Entführer so ansah. Und jetzt war ich an der Reihe.
    »Was gibt’s?«
    Ihr Gesichtssausdruck veränderte sich nicht. »Wie ist es mit Raya Singh gelaufen?«
    »Ungefähr so, wie wir es erwartet hatten.« Ich fasste mein
Treffen mit Raya kurz zusammen, weil es mir in diesem Moment ziemlich unbedeutend vorkam. »Die große Neuigkeit ist eine andere. Gil Perez’ Schwester war bei mir im Büro. Sie hat gesagt, dass Camille noch am Leben sei.«
    Ich sah eine leichte Veränderung in ihrem Gesicht. Sie war zweifellos gut, aber ich war es auch. Es heißt, dass ein echtes »verräterisches Zucken« nur eine Zehntelsekunde dauert. Aber ich hatte es gesehen. Vielleicht war das, was ich gesagt hatte, kein großer Schock, aber sie war auf jeden Fall kurz zusammengezuckt.
    »Was ist los, Muse?«
    »Ich habe mich vorhin mit Sheriff Lowell unterhalten.«
    Ich runzelte die Stirn. »Ist der noch nicht in Rente?«
    »Nein.«
    Ich wollte sie fragen, warum sie mit ihm gesprochen hatte, aber ich wusste, dass Muse gründlich vorging. Für sie war es ganz selbstverständlich, Kontakt zu dem Mann aufzunehmen, der damals die Mordermittlungen geleitet hatte. Außerdem erklärte es ihr Verhalten mir gegenüber zumindest teilweise.
    »Lassen Sie mich raten«, sagte ich. »Er meint, dass ich über jene Nacht gelogen hätte.«
    Muse sagte weder ja noch nein. »Es ist schon komisch, dass Sie in der Mordnacht ihren Wachposten verlassen haben, finden Sie nicht auch?«
    »Sie wissen doch, warum. Sie haben die Berichte gelesen.«
    »Ja,

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