Grab im Wald
hab ich. Sie haben sich mit Ihrer Freundin davongeschlichen. Und dann wollten Sie sie nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Genau.«
»Aber in dem Erlebnisbericht stand auch, dass Sie blutverschmiert waren. Stimmt das auch?«
Ich sah sie an. »Was zum Teufel ist hier los?«
»Ich versuche, so zu tun, als wären Sie nicht mein Chef.«
Ich versuchte, mich aufzusetzen. Die genähte Wunde tat höllisch weh.
»Hat Lowell Ihnen erzählt, dass ich zeitweise zu den Verdächtigen gehörte?«
»Das war nicht nötig. Und diese Fragen würde ich Ihnen auch stellen, wenn Sie kein Verdächtiger waren. Schließlich haben Sie darüber gelogen, was in der Nacht …«
»Ich wollte Lucy schützen. Das wissen Sie doch schon.«
»Ich weiß, was Sie mir schon erzählt haben, ja. Aber versetzen Sie sich doch mal in meine Lage. Ich muss diesen Fall ohne jegliche Parteilichkeit oder Vorbehalte bearbeiten. Würden Sie an meiner Stelle nicht dieselben Fragen stellen?«
Ich dachte darüber nach. »Okay, ich hab’s verstanden, machen Sie weiter. Sie können mich fragen, was Sie wollen.«
»War Ihre Schwester jemals schwanger?«
Ich war verblüfft. Die Frage traf mich wie ein linker Haken ohne Vorwarnung. Wahrscheinlich hatte sie genau das beabsichtigt.
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja.«
»Warum fragen Sie so etwas?«
»Bitte beantworten Sie einfach meine Frage.«
»Nein, meine Schwester ist nie schwanger gewesen.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich glaube, ich hätte das gewusst.«
»Sind Sie sicher?«, fragte sie noch einmal.
»Ich versteh die Frage nicht. Warum wollen Sie das wissen?«
»Es gibt viele Fälle, in denen Mädchen und junge Frauen eine Schwangerschaft vor ihrer Familie verheimlicht haben. Das wissen Sie auch. Wir hatten ja letztens sogar einen Fall, wo das Mädchen das selbst erst bei der Entbindung erfahren hat. Erinnern Sie sich noch daran?«
Das tat ich.
»Hören Sie, Muse, ich frage Sie jetzt als Ihr Chef. Warum wollen Sie wissen, ob meine Schwester schwanger gewesen ist?«
Sie sezierte mich mit ihren Blicken.
»Hören Sie auf damit«, sagte ich.
»Sie müssen den Fall wegen Voreingenommenheit abgeben, Cope. Und das wissen Sie ganz genau.«
»Ich muss gar nichts.«
»Doch, das müssen Sie. Es ist immer noch Lowells Fall. Es ist seine Show.«
»Lowell? Seit der Verhaftung von Wayne Steubens vor achtzehn Jahren hat der die Akte doch nicht wieder angerührt.«
»Trotzdem. Es ist sein Fall. Er leitet ihn.«
Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. »Weiß Lowell, dass Gil Perez die ganze Zeit am Leben war?«
»Ich habe ihm von Ihrer Theorie erzählt.«
»Und warum bombardieren Sie mich jetzt plötzlich mit Fragen über Camille und eine mögliche Schwangerschaft?«
Sie antwortete nicht.
»Gut, spielen wir es auf die Art. Hören Sie, ich habe Glenda Perez versprochen zu versuchen, ihre Familie aus der Sache rauszuhalten. Aber von mir aus erzählen Sie es Lowell. Vielleicht lässt er Sie dann weiter mitmachen – ich traue Ihnen weit mehr zu als diesem Dorfsheriff. Der Schlüssel ist der: Glenda Perez hat gesagt, meine Schwester hätte den Wald aus eigener Kraft verlassen.«
»Und Ira Silverstein hat gesagt«, sagte Muse, »dass sie tot ist.«
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Dieses Mal war das Zucken in ihrem Gesicht deutlicher zu erkennen gewesen. Ich musterte sie streng. Sie versuchte, meinem Blick standzuhalten, wandte sich dann aber doch irgendwann ab.
»Was ist los, Muse?«
Sie stand auf. Die Tür hinter ihr wurde geöffnet. Eine Krankenschwester
trat ein. Beinahe grußlos wickelte sie mir eine Blutdruckmanschette um den Arm und fing an zu pumpen. Dann steckte sie mir ein Thermometer in den Mund.
Muse sagte: »Ich bin gleich wieder zurück.«
Ich hatte das Thermometer noch im Mund. Die Schwester maß meinen Puls. Er musste alles übersteigen, was sie in ihren Tabellen verzeichnet hatte. Ich versuchte, um das Thermometer herumzurufen.
»Muse!«
Sie ging. Ich blieb im Bett und kochte vor Wut.
Schwanger? Könnte Camille schwanger gewesen sein?
Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich versuchte, mich zu erinnern. Hatte sie angefangen, weite Kleidung zu tragen? Wie lange war sie schwanger gewesen – im wievielten Monat? Wenn es irgendwelche Anzeichen gegeben hätte, wären sie meinem Vater aufgefallen. Ihm hätte sie es nicht verheimlichen können.
Aber das hatte sie ja vielleicht auch gar nicht.
Ich würde nicht sagen, dass der Gedanke an eine Schwangerschaft meiner Schwester
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