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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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es mehr als normale Sorgen waren.
    Sie fehlte mir.
    Sie fehlte mir so, wie einem jemand fehlt, in den man sich verliebt hat. Ich hätte diese Aussage umgehen oder sie zumindest etwas abschwächen können, indem ich sagte, dass meine gesamte Gefühlswelt in Aufruhr war, weil so viel auf einmal auf mich einstürzte, dass ich in Nostalgie schwelgte, weil ich an eine bessere, unschuldigere Zeit dachte, eine Zeit, in der meine Eltern sich noch nicht getrennt hatten, in der meine Schwester
noch lebte und in der natürlich auch Jane noch irgendwo gesund, schön und glücklich war. Aber das stimmte nicht.
    Ich war einfach gern mit Lucy zusammen. Es fühlte sich gut an. Ich war auf die Art gern mit ihr zusammen, wie man gern mit jemandem zusammen ist, in den man sich verliebt hat. So etwas musste man nicht weiter erklären.
    Muse fuhr. Ihr Wagen war klein und vollgestopft. Ich war kein Autonarr und hatte keine Ahnung, was für ein Fabrikat es war, aber es roch nach Zigarettenrauch. Sie musste meinen Gesichtsausdruck gesehen habe, denn sie sagte: »Meine Mutter ist Kettenraucherin.«
    »Mhm.«
    »Sie wohnt bei mir. Aber nur für den Übergang. Also bis sie ihren fünften Ehemann gefunden hat. In der Zwischenzeit verbiete ich ihr, in meinem Wagen zu rauchen.«
    »Und sie ignoriert das.«
    »Nein, so kann man das nicht sagen. Ich glaub, das Verbot bringt sie dazu, noch mehr zu rauchen. In meiner Wohnung ist es das Gleiche. Wenn ich von der Arbeit komme und die Tür aufmache, habe ich das Gefühl, einen Aschenbecher zu betreten.«
    Ich wünschte, sie würde schneller fahren.
    »Schaffen Sie es morgen ins Gericht?«, fragte sie.
    »Ja, ich denke schon.«
    »Richter Pierce will alle Anwälte in seinem Büro sehen.«
    »Haben Sie eine Ahnung, was das soll?«
    »Nein.«
    »Und wann ist das?«
    »Punkt neun Uhr.«
    »Das schaff ich schon.«
    »Soll ich Sie dann vorher abholen?«
    »Ja.«
    »Kriege ich dafür einen Firmenwagen?«

    »Wir arbeiten nicht für eine Firma. Wir arbeiten für den Bezirk.«
    »Wie wär’s dann mit einem Bezirkswagen?«
    »Vielleicht.«
    »Cool.« Sie fuhr weiter. »Das mit Ihrer Schwester tut mir leid.«
    Ich sagte nichts. Ich kam noch nicht damit klar. Vielleicht brauchte ich noch die Bestätigung durch die Identifikation. Oder ich hatte schon zwanzig Jahre getrauert und konnte einfach nicht mehr. Aber wahrscheinlich hatte ich meine Gefühle einfach nur auf Sparflamme gestellt.
    Jetzt waren noch zwei Menschen gestorben.
    Was da im Wald vor zwanzig Jahren auch passiert sein mochte … vielleicht hatten die einheimischen Kids Recht, die behaupteten, dass sie von einem Monster gefressen worden waren oder eine Art Waldschrat sie geholt hatte. Jedenfalls lebte und atmete das noch, was Margot Green, Doug Billingham und höchstwahrscheinlich auch Camille Copeland getötet hatte – und es tötete weiter. Vielleicht hatte es zwanzig Jahre lang geschlafen. Vielleicht war es an einen anderen Ort weitergezogen, hatte sich andere Wälder in anderen Bundesstaaten gesucht. Aber jetzt war dieses Monster wieder zurück – und ich war fest entschlossen, es nicht noch einmal entkommen zu lassen.
    Die Wohngebäude für die Professoren auf dem Campus der Reston University waren deprimierend. Ein paar alte, zu eng nebeneinanderstehende Backsteinhäuser. Außerdem waren sie auch noch schlecht beleuchtet – aber das war vielleicht besser so.
    »Haben Sie etwas dagegen, im Wagen zu warten?«, fragte ich.
    »Ich muss noch schnell was erledigen«, sagte Muse. »Ich bin gleich wieder da.«
    Ich ging den Weg entlang. Das Licht in der Wohnung war aus, aber ich hörte Musik. Ich kannte den Song. Somebody von
Bonnie McKee. Extrem deprimierend – der »Somebody« ist der perfekte Geliebte, und sie weiß, dass er irgendwo da draußen ist, dass sie ihn aber niemals finden wird –, aber das war Lucy. Sie liebte so schmalzige Stücke. Ich klopfte an die Tür. Keine Reaktion. Ich klingelte, klopfte noch mal. Immer noch nichts.
    »Luce!«
    Nichts.
    »Luce!«
    Ich klopfte weiter. Langsam ließ die Wirkung des Medikaments nach, das der Arzt mir gegeben hatte. Die Wunde in meiner Seite schmerzte. Es fühlte sich genauso an, wie es war – als würde jede meiner Bewegungen die Haut weiter einreißen.
    »Luce!«
    Ich versuchte, den Türknauf zu drehen. Abgeschlossen. Auf dieser Seite der Wohnung waren zwei Fenster. Ich spähte hinein. Es war zu dunkel. Ich versuchte, die Fenster zu öffnen. Sie waren beide verriegelt.
    »Komm schon, Luce,

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