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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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ich weiß, dass du da bist.«
    Hinter mir hörte ich einen Wagen. Muse kam zurück. Sie hielt an und stieg aus.
    »Hier«, sagte sie.
    »Was ist das?«
    »Der Generalschlüssel. Ich hab ihn vom Wachdienst besorgt.«
    Muse.
    Sie warf ihn mir zu und ging wieder zum Wagen. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, klopfte noch einmal kräftig und drehte ihn um. Die Tür ging auf. Ich trat ein und zog die Tür hinter mir zu.
    »Mach das Licht nicht an.«
    Es war Lucy.
    »Lass mich zufrieden, Cope, ja?«
    Der iPod wechselte zum nächsten Stück. Alejandro Escovedo
fragte musikalisch: What kind of love destroys a mother and sends her crashing through the tangled trees.
    »Du solltest eine von diesen K-Tel-CDs zusammenstellen«, sagte ich.
    »Was?«
    »Du weißt schon, dafür haben sie früher im Fernsehen immer Werbung gemacht. ›Time Life präsentiert: Die deprimierendsten Songs aller Zeiten‹.«
    Sie schnaubte kurz vor Lachen. Langsam gewöhnten meine Augen sich an die Dunkelheit. Sie saß auf der Couch. Ich ging auf sie zu.
    »Nicht«, sagte sie.
    Aber ich ging einfach weiter. Ich setzte mich neben sie. Sie hatte eine halbleere Wodkaflasche in der Hand. Ich schaute mich im Zimmer um. Ich sah nichts Persönliches, nichts Neues, nicht einmal etwas Helles oder Fröhliches.
    »Ira«, sagte sie.
    »Das tut mir so leid.«
    »Die Cops sagen, er hat Gil umgebracht.«
    »Was glaubst du?«
    »Ich hab das Blut in seinem Käfer gesehen. Er hat auf dich geschossen. Natürlich glaube ich, dass er Gil umgebracht hat.«
    »Warum?«
    Sie trank einen Schluck aus der Flasche.
    »Gibst du mir die Flasche?«, fragte ich.
    »So bin ich wirklich, Cope.«
    »Nein, so bist du nicht.«
    »Ich bin nichts für dich. Du kannst mich nicht retten.«
    Darauf hätte ich mehrere Antworten parat gehabt, die jedoch alle ziemlich klischeehaft klangen. Also verkniff ich sie mir.
    »Ich liebe dich«, sagte sie. »Ich meine, ich hab nie aufgehört, dich zu lieben. Ich war mit anderen Männern zusammen. Ich hab Beziehungen gehabt. Aber du warst immer da. Mit uns zusammen
im Zimmer. Sogar im Bett. Es ist albern und dumm, und wir waren damals noch Kinder, aber so ist es nun mal.«
    »Das hab ich begriffen«, sagte ich.
    »Sie glauben, dass Ira vielleicht auch der Mörder von Margot und Doug ist.«
    »Du nicht?«
    »Er wollte doch nur, dass es zu Ende ist. Weißt du? Es hat so wehgetan und so viel kaputtgemacht. Und als er Gil dann gesehen hat, muss das für ihn eine Art Geist gewesen sein, der ihn verfolgt hat.«
    »Tut mir leid«, sagte ich noch einmal.
    »Geh nach Hause, Cope.«
    »Ich würd lieber bleiben.«
    »Das hast du nicht zu entscheiden. Das ist meine Wohnung. Und mein Leben. Geh nach Hause.«
    Wieder nahm sie einen großen Schluck aus der Flasche.
    »Ich will dich hier nicht so zurücklassen.«
    In ihrem Lachen lag eine gewisse Schärfe. »Was? Glaubst du, das wäre das erste Mal?«
    Sie sah mich herausfordernd an. Ich schwieg.
    »Ja, so lebe ich. Ich trink allein im Dunkeln und hör mir diese verdammten Songs an. Bald schlaf ich ein, oder ich werd einfach ohnmächtig, du kannst dir aussuchen, wie du es nennst. Und morgen hab ich dann noch nicht mal einen richtigen Kater.«
    »Ich möchte hierbleiben.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    »Nicht deinetwegen. Ich will meinetwegen hierbleiben. Ich will bei dir sein. Besonders heute Nacht.«
    »Ich will dich nicht bei mir haben. Das macht es nur noch schlimmer.«
    »Aber …«
    »Bitte«, sagte sie, und ihre Stimme klang flehentlich. »Bitte geh jetzt. Morgen. Morgen können wir es wieder probieren.«

40
    Dr Tara O’Neill schlief selten mehr als vier oder fünf Stunden pro Nacht. Sie brauchte einfach nicht viel Schlaf. Beim Sonnenaufgang um sechs Uhr morgens war sie wieder im Wald. Sie liebte diesen Wald – wie eigentlich jeden Wald. Sie war fürs Studium in die Stadt gezogen, auf die University of Pennsylvania in Philadelphia gegangen. Ihre Freunde und Familie hatten gedacht, es würde ihr dort gefallen. »Du bist so ein nettes Mädchen«, hatten sie gesagt. »Die Stadt ist so lebendig, da sind so viele Menschen, und es ist so viel los.«
    Aber während ihres ganzen Studiums war Tara O’Neill jedes Wochenende aus Philadelphia nach Hause gefahren. Schließlich hatte sie sich als Gerichtsmedizinerin zur Wahl aufstellen lassen und in der Zwischenzeit in Wilkes-Barre als Pathologin gearbeitet. Sie hatte versucht, ihre eigene Lebensphilosophie in Worte zu fassen, und da war ihr etwas wieder eingefallen, was

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