Grab im Wald
hat. Glauben Sie, dass das stimmt?«
Meinen Gil. Sie leugnete es nicht mehr. Sie versteckte sich nicht mehr hinter einer Lüge oder hinter ihrer Tochter. Wir sprachen nicht mehr über Spekulationen.
»Ja.«
Sie nickte. »Manchmal habe ich gedacht, dass Gil damals wirklich im Wald gestorben ist. Das war seine Bestimmung. Die Zeit danach hatte er nur geliehen. Als dieser Polizist mich vor ein paar Tagen angerufen hat, hab ich sofort gewusst, was passiert ist. Ich hatte das schon fast erwartet. So richtig ist mein Gil doch nie aus diesem Wald rausgekommen.«
»Erzählen Sie mir, was damals passiert ist«, sagte ich.
»Ich hab immer gedacht, ich wüsste das. All die Jahre lang. Aber vielleicht habe ich die Wahrheit doch nie erfahren. Vielleicht hat Gil mich belogen.«
»Erzählen Sie mir, was Sie wissen.«
»Sie waren damals doch auch im Lager. Sie kennen meinen Gil.«
»Ja.«
»Und dieses Mädchen kannten Sie auch. Diese Margot Green.«
Ich bestätigte, dass ich sie gekannt hatte.
»Gil war ganz furchtbar in sie verliebt. Dabei kam er aus einer armen Familie. Wir haben damals auf der armen Seite von Irvington gewohnt. Aber Mr Silverstein hatte so ein Programm, mit dem Kinder aus Arbeiterfamilien auch ins Ferienlager kommen konnten. Ich habe damals einen Job in der Wäscherei von dem Lager bekommen. Erinnern Sie sich noch?«
Ich erinnerte mich.
»Ich habe Ihre Mutter sehr gemocht. Sie war so klug. Wir haben viel geredet. Über alles Mögliche. Über Bücher, über das Leben, über die Enttäuschungen, die wir erlebt hatten. Natascha war das, was wir eine gute Seele nennen. Sie ist so schön gewesen, aber auch sehr zerbrechlich. Verstehen Sie?«
»Ich glaub schon, ja.«
»Na ja, Gil war jedenfalls furchtbar in Margot Green verliebt. Das war ganz normal. Er war achtzehn. In seinen Augen war sie ein Modell, wie er es sonst nur aus Magazinen kannte. So ist das mit Männern. Sie werden von Lust gesteuert. Mein Gil war da nicht anders. Aber sie hat ihm das Herz gebrochen. Auch das war ganz normal. Eigentlich hätte er ein paar Wochen leiden müssen, und dann hätte er sich eine neue gesucht. Genauso wäre das wahrscheinlich auch gelaufen.«
Sie brach ab.
»Und was ist dann passiert?«, fragte ich.
»Wayne Steubens.«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat Gil etwas eingeflüstert. Er hat ihm erzählt, dass er Margot nicht so davonkommen lassen darf. Er hat an Gils Männlichkeit appelliert. Margot, hat er gesagt, lacht dich aus, Gil. Das kannst du dir nicht gefallen lassen, hat Wayne Steubens
meinem Gil ins Ohr geflüstert. Diesen Witz musst du ihr heimzahlen. Und irgendwann – ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat – hat Gil ihm zugestimmt.«
Ich verzog das Gesicht. »Und dann hat er ihr die Kehle durchgeschnitten?«
»Nein. Aber Margot ist überall im Lager herumstolziert. Daran erinnern Sie sich doch auch noch, oder?«
Wayne hatte es gesagt. Sie war eine von den Sahneschnitten, die mit allen gespielt hat.
»Viele von den Kids wollten ihr einen Dämpfer geben. Mein Sohn natürlich auch. Und Doug Billingham auch. Vielleicht auch Ihre Schwester. Sie ist damals auch dabei gewesen, aber vielleicht nur, weil Doug Billingham sie dazu überredet hatte. Aber das ist ja auch egal.«
Eine Krankenschwester öffnete die Tür.
»Jetzt nicht«, rief ich.
Ich dachte, sie würde mir widersprechen, aber offenbar hatte ich sehr bestimmt geklungen. Sie ging wieder hinaus und ließ die Tür hinter sich zufallen. Mrs Perez sah nach unten. Sie starrte auf ihre Handtasche, als fürchtete sie, jemand könnte sie ihr wegreißen.
»Wayne hatte das alles sehr sorgfältig geplant. Das hat Gil jedenfalls gesagt. Sie wollten Margot in den Wald locken. Sie wollten ihr einen Streich spielen. Ihre Schwester hat den Jungs beim Ködern geholfen. Sie hat Margot erzählt, dass da ein paar hübsche Jungs warten. Gil hatte sich eine Maske aufgesetzt. Er hat Margot festgehalten und dann gefesselt. Das sollte eigentlich alles sein. Sie wollten Margot da ein paar Minuten lang liegen lassen. Wenn sie sich dann nicht selbst befreit hätte, wollten sie sie wieder losbinden. Es war ein dummer und alberner Streich, aber so was passiert.«
Das wusste ich. Im Ferienlager wurden damals jede Menge solcher »Streiche« gespielt. Ich erinnerte mich, wie wir einmal einen
Jungen in seinem Bett in den Wald gestellt hatten, während er schlief. Am nächsten Morgen wachte er ganz allein da draußen auf und war völlig verängstigt. Wir leuchteten auch
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