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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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hasste Ikea mit seinen Bildergeschichten als Zusammenbau-Anleitungen, die anscheinend von NASA-Ingenieuren entworfen wurden. Lucy setzte sich neben sie und wartete.
    »Wie haben Sie rausgekriegt, dass der Bericht von mir ist?«, fragte Sylvia.
    »Das ist nicht so wichtig.«
    »Ich hab ihn doch anonym geschickt.«
    »Ich weiß.«
    »Und Sie haben gesagt, dass er vertraulich ist.«
    »Ich weiß. Tut mir leid.«
    Sylvia wischte sich die Nase ab und blickte zur Seite. Ihre Haare tropften immer noch.
    »Dabei hab ich Sie auch noch belogen«, sagte Sylvia.
    »Wann das?«
    »Über das, was ich geschrieben habe. Als ich letztens bei Ihnen im Büro war. Wissen Sie noch?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie auch noch, was ich erzählt habe, worum es in meinem Erlebnisbericht geht?«

    Lucy überlegte einen Moment lang. »Um Ihr erstes Mal.«
    Sylvia lächelte freudlos. »Na ja, auf eine kranke Art stimmte das wohl auch.«
    Lucy dachte darüber nach. Dann sagte sie: »Ich kann Ihnen nicht folgen, Sylvia.«
    Sylvia sagte lange nichts. Lucy erinnerte sich, dass Lonnie gesagt hatte, er würde ihr helfen, Sylvia zum Reden zu bringen. Aber eigentlich hätte er bis zum Morgen warten sollen.
    »Ist Lonnie heute bei Ihnen gewesen?«
    »Lonnie Berger? Aus dem Seminar?«
    »Ja.«
    »Nein. Was soll Lonnie bei mir?«
    »Spielt jetzt auch keine Rolle. Also sind Sie von sich aus gekommen?«
    Sylvia schluckte und sah Lucy unsicher an. »War das falsch?«
    »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin froh, dass Sie hier sind.«
    »Ich hab echt Angst«, sagte Sylvia.
    Lucy nickte, versuchte, beruhigend zu wirken, um Sylvia Mut zu machen. Wenn sie jetzt Druck auf das Mädchen ausübte, ging das nur nach hinten los. Also wartete sie. Sie wartete volle zwei Minuten, dann hielt sie es nicht mehr aus.
    »Sie müssen keine Angst haben«, sagte Lucy.
    »Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
    »Erzählen Sie mir alles, okay?«
    »Das hab ich eigentlich schon. Wenigstens das meiste.«
    Lucy fragte sich, wie sie weiter vorgehen sollte. »Wer ist P?«
    Sylvia runzelte die Stirn. »Was?«
    »In Ihrem Bericht schreiben Sie über einen P. Wer ist das?«
    »Wovon reden Sie?«
    Lucy brach ab. Sie fing noch einmal von vorne an.
    »Erzählen Sie mir ganz genau, warum Sie hier sind, Sylvia.«
    Aber jetzt war Sylvia misstrauisch geworden. »Warum waren Sie vorhin bei mir am Zimmer?«

    »Weil ich mit Ihnen über Ihren Bericht reden wollte.«
    »Aber warum fragen Sie mich dann nach einem Mann namens P? Ich hab niemanden P genannt. Ich hab ganz offen gesagt, dass es …« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie schloss die Augen und flüsterte: »… mein Vater war.«
    Der Damm brach. Tränen strömten ihr über die Wangen.
    Lucy schloss die Augen. Der Inzest-Bericht. Der sie und Lonnie so schockiert hatte. Verdammt. Lonnie hatte einen Fehler gemacht. Der Erlebnisbericht über die Nacht im Wald war nicht von Sylvia.
    »Ihr Vater hat Sie missbraucht, als Sie zwölf waren«, sagte Lucy.
    Sylvia hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Ihr Schluchzen klang, als risse es ihr die Lunge aus der Brust. Ihr ganzer Körper bebte, während sie nickte. Lucy sah das arme Mädchen an, das unbedingt gefallen wollte, und musste dabei an den Vater denken. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf Sylvias. Dann rückte sie näher heran und legte den Arm um das Mädchen. Sylvia lehnte sich an ihre Brust und heulte. Lucy hielt sie fest, wiegte sie leicht und versuchte so, sie zu beruhigen.

18
    Ich hatte nicht geschlafen. Muse auch nicht. Ich fand gerade noch Zeit für eine schnelle Trockenrasur. Ich roch so übel, dass ich überlegte, ob ich Horace Foley um einen Schuss von seinem Rasierwasser bitten sollte.
    »Besorgen Sie mir die Unterlagen«, sagte ich zu Muse.
    »Bin schon dabei.«
    Als der Richter den Saal um Ruhe bat, rief ich einen – huch – Überraschungszeugen auf.
    »Das Gericht ruft Gerald Flynn in den Zeugenstand.«

    Flynn war der »nette« Junge, der Chamique Johnson zu der Party eingeladen hatte. Sein Aussehen entsprach diesem Bild – die zu glatte Haut, ordentlich gescheitelte blonde Locken, große blaue Augen, die die ganze Welt voll Neugier und Naivität zu betrachten schienen. Die Verteidigung wartete darauf, dass ich die Beweisaufnahme der Anklage beendete, und hatte Flynn – ihren eigenen wichtigsten Entlastungszeugen – gebeten, sich bereitzuhalten.
    Flynn hatte seine Verbindungsbrüder die ganze Zeit unterstützt. Aber es war eine Sache, bei der Polizei oder in

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