Grabesdunkel
die Sprache, und schon nach zwei Jahren kamen sie frei. Danach hatten sich beide mit Erfolg um eine Aufenthaltsgenehmigung beworben. Admir, weil er angeblich bei der Ermittlung gegen andere Kriegsverbrecher geholfen hatte. Ratomir, weil er in einer Mischehe lebte und betonte, dass ihm daraus Probleme entstehen könnten, wenn er in sein Heimatland zurückkehrte.
Joakim hielt inne. Agnes war kreidebleich.
»Das ist der Mann, der mich überfallen hat«, sagte sie und zeigte mit zitterndem Finger auf Admir. »Und diesen Mann habe ich auch schon einmal gesehen. Er saà an dem Abend, an dem ich im Hjørnet war, ganz hinten an der Bar. Er hat mich auf eine unglaublich unangenehme Art angestarrt.«
Joakim war erstaunt. Eine Verbindung zwischen den Hochschulmorden und Hans Adler Hellviks Schlägern hatte er nicht erwartet. Er wusste zwar, dass Helle und Ester oft ins Hjørnet gegangen waren, doch was hatten sie mit diesen beiden Schlägern zu tun? Er ahnte, dass Agnes nicht alles erzählt hatte, was in jener Nacht auf dem Friedhof passiert war, doch er wollte sie nicht unter Druck setzen.
»Woher hast du die Bilder? Von der Polizei?«, fragte sie.
»Nein. Es gibt Leute auÃerhalb des Polizeiapparats, die noch gröÃeres Interesse daran haben, Kriegsverbrecher dingfest zu machen.«
»Ihre Opfer«, konstatierte Agnes.
»Sollen wir zur Polizei gehen und erzählen, dass du inzwischen den Namen des Mannes weiÃt, der dich überfallen hat?«
Agnes schluckte. Dann nickte sie. »Heute Abend schaffe ich das aber nicht mehr. Wir machen das morgen.«
Kapitel 45
Im Taxi hinaus nach Nesodden lehnte sich Agnes gegen Joakim. Die kurvigen StraÃen wiegten sie fast in den Schlaf. Das Haus war leer und dunkel, als sie ankamen. Joakims Mutter hatte auch die AuÃenbeleuchtung ausgeschaltet, als sie in aller Eile aufgebrochen war.
Die Wolkendecke war kompakt und der Boden unter ihren FüÃen matschig und kalt. Joakim hatte seinen eigenen Schlüssel dabei. Er schloss auf, und sie traten in die blau gestrichene Diele.
»Komm«, sagte er und ging mit ihr in die erste Etage hoch.
Sie kamen an Ibens Zimmer vorbei, das noch immer völlig unangetastet war. Agnes hatte in der vergangenen Nacht nicht dort geschlafen, sondern in Joakims Kinderzimmer. Ibens Zimmer war heilig. Joakims Mutter hatte Agnes erklärt, dass sie den Gedanken nicht ertrug, dass jemand anders in Ibens Bett schlief, weil sie Angst hatte, die Erinnerungen an die Tochter könnten verwässern.
Joakim führte Agnes ins Büro, das Wand an Wand mit Ibens Zimmer lag. Er öffnete eine Schreibtischschublade und holte einen kleinen schwarzen Koffer heraus, den er auf den Tisch legte.
»Hast du schon mal geschossen?«
»Woher hast du die Pistole?« Agnes starrte beunruhigt den Koffer an, während er ihn öffnete.
»Wir haben sie seit Jahren im Haus, vorsichtshalber. Meine Mutter hat sie von einer guten Freundin bekommen. Sie kann nicht schlafen, ohne die Waffe in Reichweite zu haben. Wir hatten ein paar ⦠unschöne Erlebnisse, die mit ihrem Job zu tun hatten. Hast du schon mal geschossen?«
»Ja, aber nicht mit so einer.«
Agnes dachte an ihren Exfreund, der in der Bürgerwehr gewesen war. Sie hatte ihn mehrmals auf den SchieÃstand begleitet und auch selbst geübt. Doch sie hatte noch nie eine Pistole in der Hand gehabt.
»Das«, sagte Joakim und öffnete den Deckel, »ist eine Jericho 941.«
Agnes nahm schweigend die mattgraue Pistole heraus. Sie lag schwer in ihrer Hand.
»Womit hast du denn geschossen?«
»Mit einem Gewehr.«
»Ich halte es für wichtig, dass du weiÃt, wie die hier funktioniert. Für alle Fälle. Okay? Liegt sie gut in der Hand?«
Agnes nickte.
»Denk daran, sanft abzudrücken. Ein typischer Anfängerfehler ist es, zu zucken. Dann geht der Schuss nach rechts oben«, erklärte Joakim. »Du musst nur das Magazin einlegen, durchladen, entsichern â und fertig. Vergiss nicht, dass eine Pistole sehr viel kleiner ist als ein Gewehr, also halt den Lauf in die richtige Richtung und schieà dir nicht ins Bein.«
Agnes fand es beruhigend und erschreckend zugleich, eine Waffe im Haus zu haben. Sie begleitete Joakim wieder nach unten, wo er von Zimmer zu Zimmer ging und das Licht anschaltete. Als sie in die Küche kamen, drehte er sich um und sah sie fragend an. Sie spürte ein
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