Grabesdunkel
vorbei und er alleine in seiner traurigen Dienstwohnung saÃ. Er spürte, wie sich die Nervosität mit einer süÃen Ãbelkeit mischte, als er den weiÃen Zettel auseinanderfaltete. Acht Zahlen. Acht kleine Zahlen. Die Telefonnummer zur Hölle. Er warf den Zettel in eine Schublade, wollte ihn nicht offen herumliegen lassen, konnte sich aber auch nicht entschlieÃen, ihn in den Papierkorb zu werfen.
Es war ein Reifungsprozess. Zunächst hatte der Gedanke etwas von einem furchtbaren Feind, um dann zu einem eher unbequemen Gegner und allmählich zu einem Bekannten zu werden. Und schlieÃlich: zu einer Besessenheit. Als würde der Zettel ihn nachts aus der Schublade heraus rufen, während er alleine in der Dunkelheit seines Schlafzimmers onanierte. Hinterher empfand er nichts als Traurigkeit. Dass er niemals mehr Sex mit einer Frau haben sollte, rief in ihm das Gefühl hervor, als wäre sein Leben vorbei, und plötzlich bedeutete ihm das, was er für unwichtig erachtet hatte, alles. Der Gedanke, sich eine Geliebte zu nehmen, stand nicht zur Debatte. Seltsamerweise hätte er es als gröÃeren Verrat an Vibeke empfunden, ein Verhältnis einzugehen, als sich die Dienste einer Frau zu erkaufen, zu der er weiter keine Beziehung hatte.
Irgendwann hatte er das Unaussprechliche getan und die Nummer gewählt. Um kein Risiko einzugehen, hatte er aus einer Telefonzelle vor einem kleinen Einkaufszentrum in Hof angerufen. Die Stimme am anderen Ende war kultiviert, professionell und verständnisvoll gewesen. Er werde genau das bekommen, was er wolle, alles sei absolut wasserdicht, sagte man ihm. Er solle einfach am nächsten Tag zur Mittagszeit in eine Wohnung in Adamstuen kommen. Den Schlüssel werde er unter einem weiÃen Stein neben der Regenrinne finden. An der Tür der Wohnung, die im obersten Stock lag, stehe der Name Hansen. Er solle sich um die Nachbarn keine Gedanken machen, die arbeiteten nämlich tagsüber. Das Geld solle er in die untere linke Schublade im Badezimmer legen. Das Mädchen, das für ihn bestimmt sei, werde gegen halb eins auftauchen.
Hinterher war er erleichtert gewesen, hatte sich glücklich, energiegeladen und lebendig gefühlt. Im Lauf der Zeit hatte er mehrere junge Frauen ausprobiert. Er hatte sich wie ein neuer Mensch gefühlt â bis zu jenem Tag vor einem Monat, als eine der Frauen ihn angerufen und erzählt hatte, dass sie ihn gefilmt habe und Geld wolle.
Jetzt dachte er an Vibeke, an ihre sanften Augen.
Diese Sache würde ihrer beider Untergang werden.
Kapitel 59
Joakim und Rasmus waren zwei Stunden und vierzig Minuten unterwegs. Der Donner wurde immer heftiger. Er rollte über die Ãcker, und hin und wieder durchschnitt ein Blitz den Himmel.
Joakims Handy klingelte. Eine unbekannte Nummer.
»Hei, hier ist Nils Gullestad, ich bin freier Journalist. Katarina Hoff hat gesagt, ich soll mich direkt bei Ihnen melden. Ich stehe drauÃen vor Terje Ãstbys Hütte in Evje.«
»Prima. Können Sie bitte beschreiben, was Sie sehen?«
»Ich komme nicht nahe genug heran. Alles ist abgesperrt. Im Moment bewegt sich eine Gruppe Polizisten auf das Haus zu. Ãstby scheint eine Waffe zu haben.«
»Eine Waffe? Er ist also nicht tot?«
»Nein, ich kann von hier aus hören, wie er ruft.«
»Okay. Schreiben Sie alles auf, machen Sie so viele Bilder, wie Sie können, und reden Sie mit der Polizei.«
Joakim fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte kurze Haar, nachdem er aufgelegt hatte.
»Terje Ãstby hat sich verschanzt«, sagte er.
Rasmus trat das Gaspedal durch. »Er muss völlig durchgedreht sein.«
Kapitel 60
Gegen Mittag bekam Agnes einen Anruf von der Telefonzentrale, dass unten an der Pforte jemand für sie warte. Nein, die Betreffende habe keinen Termin und wolle auch nicht sagen, worum es gehe oder wie sie heiÃe. Agnes stöhnte. Es kam öfter vor, dass Leute mit ihren Geschichten bei Nyhetsavisen auftauchten und darauf bestanden, mit einem der Journalisten zu sprechen, dessen Namen sie sich aus der Zeitung gemerkt hatten. Meistens handelte es sich um Menschen, denen die Behörden übel mitgespielt hatten. Manchmal um geistig Verwirrte. Und manchmal um beides.
»Das passt im Moment ziemlich schlecht«, sagte Agnes abweisend.
Die Dame von der Telefonzentrale senkte die Stimme: »Sie scheint ganz normal zu sein. Und es scheint wichtig zu
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