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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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weiterreden, doch dann kam Sam hereingerauscht, frisch und schwungvoll nach seinem gesunden Wochenende auf dem Lande, in einer Hand zwei Tonbandkassetten und einen Stoß Faxblätter in der anderen. Ich war noch nie so froh, ihn zu sehen.
    »Morgen, Leute. Die sind für euch, mit einem Gruß von Bernadette. Wie war das Wochenende?«
    »Schön«, sagten wir wie aus einem Munde, und Cassie wandte sich ab und hängte ihre Jacke auf.
    Ich nahm Sam die Faxe aus der Hand und überflog sie. Meine Konzentration war im Eimer, der Hausarzt der Devlins hatte eine dermaßen unleserliche Handschrift, dass es nur Absicht sein konnte, und Cassie – die ungewohnte Geduld, mit der sie wartete, bis ich mit jeder Seite fertig war, der Augenblick gezwungener Nähe, wenn sie sich vorbeugte, um sie zu nehmen – machte mich ganz kribbelig. Es kostete mich enorme Willensanstrengung, auch nur ein paar halbwegs aussagekräftige Fakten zusammenzubringen.
    Margaret hatte sich anscheinend schnell Sorgen gemacht, als Rosalind noch klein war, denn sie hatte sie mit jedem kleinen Zipperlein gleich zum Arzt gebracht. Aber eigentlich war Rosalind die gesündeste der drei Töchter gewesen: keine ernstere Erkrankung, keine ernsten Verletzungen. Jessica hatte nach der Geburt drei Tage im Brutkasten gelegen, mit sieben hatte sie sich nach einem Sturz vom Klettergerüst in der Schule einen Arm gebrochen, und sie war etwa seit ihrem neunten Lebensjahr untergewichtig. Beide Zwillinge hatten die Masern gehabt. Beide hatte sämtliche Schutzimpfungen erhalten. Bei Rosalind war im letzten Jahr ein eingewachsener Zehnagel entfernt worden.
    »Da deutet aber auch nichts auf Missbrauch oder Münchhausen-Syndrom hin«, sagte Cassie schließlich. Sam hatte am Kassettenrekorder rumhantiert, und jetzt war im Hindergrund Andrews zu hören, der einem Grundstücksmakler wegen irgendetwas eine lange empörte Standpauke hielt.
    Wenn er nicht da gewesen wäre, hätte ich, glaube ich, gar nicht geantwortet. »Es steht aber auch nichts drin, was beide Möglichkeiten ausschließt«, sagte ich und hörte selbst, wie angespannt meine Stimme klang.
    »Was müsste denn da stehen, um Missbrauch ausschließen zu können? Wir können lediglich sagen, dass dafür keine Indizien vorliegen. Und ich glaube, damit ist das Münchhausen-Syndrom ausgeschlossen. Wie gesagt, Margaret passt ohnehin nicht ins Profil, und den Unterlagen hier nach zu schließen kann von Münchhausen-Syndrom keine Rede sein.«
    »Dann bringt das also nichts«, sagte ich. Ich schob die Unterlagen zu heftig weg, und die Hälfte der Blätter flatterte von der Tischkante zu Boden. »So eine Überraschung. Der Fall ist verkorkst. Von Anfang an. Wir sollten ihn jetzt gleich ad acta legen und mit irgendwas weitermachen, das wenigstens die Spur einer Chance hat. Hiermit verplempern wir alle nur unsere Zeit.«
    Andrews Anrufe waren zu Ende, und der Kassettenrekorder brummte, leise, aber unüberhörbar, bis Sam ihn ausschaltete. Cassie bückte sich und sammelte die heruntergefallenen Faxblätter auf. Lange Zeit sagte keiner ein Wort.

    Ich frage mich, was Sam wohl dachte. Er sagte zwar nichts, aber er muss gespürt haben, dass etwas nicht stimmte: Auf einmal war Schluss mit den langen, fröhlichen studentenhaften Abenden zu dritt, und in unserem Büro herrschte eine Atmosphäre wie in einem Stück von Sartre. Möglicherweise hat Cassie ihm irgendwann die ganze Geschichte erzählt, sich an seiner Schulter ausgeweint, aber das bezweifele ich: Sie hatte zu viel Stolz, immer. Ich vermute, sie lud ihn weiter zu sich ein und erklärte ihm, die Arbeit an einem Kindermord würde mich auf Dauer zu sehr belasten – was im Grunde auch stimmte – und ich müsste abends einfach mal abschalten können, brachte das so beiläufig und überzeugend heraus, dass Sam, selbst wenn er ihr kein Wort glaubte, lieber keine Fragen stellte.
    Ich gehe davon aus, dass auch die anderen etwas merkten. Detectives sind in der Regel ziemlich gute Beobachter, und dass Cassie und ich uns plötzlich anschwiegen, wird sich binnen vierundzwanzig Stunden im Dezernat rumgesprochen haben, vermutlich begleitet von den wildesten Spekulationen – und irgendwo dazwischen ganz sicher auch die Wahrheit.
    Oder vielleicht auch nicht. Trotz allem blieb von der alten Allianz so viel bestehen: der gemeinsame, animalische Instinkt, ihr Erlöschen für uns zu behalten. In gewisser Weise ist das das Traurigste von allem: Bis ganz zum Schluss funktionierte die alte Verbindung

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