Grabesgrün
runden und erschrockenen Augen an. Als sie ihre Reaktion bemerkte, ließ sie die Hand schnell sinken und umklammerte wieder fest die Bank. »Nein«, sagte sie mit gepresster, dünner Stimme. »Natürlich nicht.«
»Ich kann mir denken, dass du Angst hast. Ich werde dich schützen. Versprochen.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, biss sich auf die Lippe, und ich wusste, dass sie den Tränen nah war. »Nein.«
Ich beugte mich zu ihr und legte meine Hand auf ihre. Sie roch nach einem blumigen Moschusduft, der Jahrzehnte zu alt für sie war. »Rosalind, wenn irgendwas nicht stimmt, müssen wir das wissen. Du bist in Gefahr.«
»Ich komm schon klar.«
»Auch Jessica ist in Gefahr. Ich weiß, du kümmerst dich um sie, aber du kannst nicht immer für sie da sein. Bitte, lass mich dir helfen.«
»Sie verstehen das nicht«, flüsterte sie. Ihre Hand zitterte unter meiner. »Ich kann nicht, Detective Ryan. Ich kann einfach nicht.«
Es zerriss mir fast das Herz. Dieses schmächtige, unbezähmbare Mädchen: In einer Situation, an der doppelt so alte Menschen zerbrochen wären, hielt sie verbissen durch, balancierte auf einem dünnen Drahtseil aus Hartnäckigkeit, Stolz und Selbstverleugnung. Und ausgerechnet ich versuchte, es ihr unter den Füßen wegzuziehen.
»Tut mir leid«, sagte ich plötzlich beschämt. »Vielleicht möchtest du ja irgendwann mal drüber reden, dann bin ich für dich da. Aber ... ich hätte dich nicht drängen sollen. Entschuldige.«
»Sie sind immer so nett zu mir«, murmelte sie. »Ich kann das gar nicht glauben.«
»Ich wünschte nur, ich könnte dir helfen«, sagte ich. »Ich wünschte, ich wüsste wie.«
»Ich ... es fällt mir nicht leicht, anderen zu vertrauen, Detective Ryan. Aber wenn ich jemandem vertraue, dann Ihnen.«
Wir saßen eine Weile schweigend da. Rosalinds Hand war weich unter meiner, und sie nahm sie nicht weg.
Dann drehte sie die Hand, ganz langsam, und verschränkte die Finger mit meinen. Sie lächelte mich an, ein inniges kleines Lächeln mit einem herausfordernden Zug in den Mundwinkeln.
Mir stockte der Atem. Es durchfuhr mich wie ein Stromschlag, die Erkenntnis, wie gern ich mich vorgebeugt, ihr eine Hand um den Hinterkopf gelegt und sie geküsst hätte. Bilder überschlugen sich in meinem Kopf, ein frisches Hotelbett und ihre lang herabfallenden Locken, Knöpfe unter meinen Fingern, Cassies angespanntes Gesicht – und ich wollte diese junge Frau, die anders war als jede Frau, die ich je gekannt hatte, wollte sie nicht trotz ihrer Stimmungen und heimlichen Verletzungen und traurigen Versuche, gerissen zu sein, sondern gerade deswegen, wegen all dem. Ich sah mein Spiegelbild, winzig und verschwommen und näher kommend, in ihren Augen.
Sie war achtzehn Jahre alt, und sie würde vielleicht irgendwann doch noch meine Hauptzeugin. Sie war verletzlicher, als sie es je wieder in ihrem Leben sein würde, und sie himmelte mich an. Sie sollte nicht leidvoll erfahren, dass ich die Neigung entwickelt hatte, alles, was ich anfasste, kaputt zu machen. Ich biss mir fest auf die Innenseite der Wange und löste meine Hand aus ihrer.
»Rosalind«, sagte ich.
Ihr Gesicht wirkte plötzlich verschlossen. »Ich geh besser«, sagte sie.
»Ich will dir nicht wehtun. Das kannst du jetzt am allerwenigsten gebrauchen.«
»Tja, haben Sie aber.« Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter, ohne mich anzusehen. Ihr Mund war ein dünner Strich.
»Rosalind, bitte, warte –« Ich streckte eine Hand nach ihr aus, aber sie schlug sie weg.
»Ich hab gedacht, Sie hätten mich gern. Aber da hab ich mich wohl getäuscht. Ich sollte das nur glauben, weil Sie sehen wollten, ob ich irgendwas über Katy weiß. Sie wollten mich nur ausnutzen, wie alle anderen auch.«
»Das stimmt nicht«, setzte ich an, aber sie marschierte bereits mit schnellen Schritten davon, und ich wusste, es wäre sinnlos, ihr nachzulaufen. Die Vögel in den Büschen flogen mit lautem Geflatter auf.
Mir drehte sich der Kopf. Ich ließ ihr ein paar Minuten, um sich zu beruhigen, dann rief ich sie auf dem Handy an, aber sie ging nicht ran. Ich sprach ihr eine stammelnde Entschuldigung auf die Mailbox, dann ließ ich mich gegen die Rückenlehne der Bank sinken.
»Scheiße«, sagte ich laut zu den leeren Büschen.
Ich glaube, ich sollte darauf hinweisen, dass ich mich im Laufe der Ermittlungen in dem Knocknaree-Fall die meiste Zeit in einer Gemütsverfassung befand, die alles andere als normal zu nennen war, auch wenn
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