Grabeskaelte
momentan leider nicht zu bieten. Haben Sie schon mal ein Puzzlespiel gemacht?“ fragte er.
Verwundert nickte Roman.
„Dann wissen Sie ja, wie das ist. Es ist ein Geduldspiel. Aber man hat, bevor man damit beginnt, bereits eine konkrete Vorstellung davon, wie das fertige Bild auszusehen hat. Dieser Fall ist für mich auch wie ein Puzzle. Einige Teile davon habe ich bereits vor mir liegen, kann sie aber nicht zuordnen. Daher kann ich zurzeit noch nicht erkennen, welches Bild sich am Ende ergibt. Manchmal zweifle ich sogar, ob es überhaupt ein Bild ergibt. Dieser Fall ist daher selbst für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Es gibt zwar einige interessante Erkenntnisse, aber bisher ist noch keine verwertbare Spur, die einen Sinn machen würde, dabei. Zu gegebener Zeit werde ich Sie gerne über den Stand der Dinge informieren. Doch jetzt ist es dazu einfach noch zu früh. Ich hoffe Sie können das verstehen.“
„Wie es aussieht bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“
„Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
Roman nickte. „Bitte, fragen Sie.“
„Von Frau Glaser weiß ich, dass Sie und Cora sich sehr nahe standen. Deshalb hoffe ich, dass Sie mir sagen können, was Cora schrieb. Weder ihr Mann noch ihre Mutter konnten mir diesbezüglich weiterhelfen. Sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung.“
Erwartungsvoll rückte Henning seine Brille zurecht und sah Roman an. Dieser räusperte sich. Das Thema schien ihm nicht sonderlich zu behagen.
„Tja, also ich wusste natürlich von Coras Aktivitäten“, begann er. „Als ihr erster Roman fertig war, hat sie ihn mir zu lesen gegeben.“
Roman zögerte bevor er weiter sprach: „Leider war das, was Cora schrieb, so gar nicht mein Stil.“
Henning, der aufmerksam zugehört hatte, zückte einen Stift, klappte sein Notizbuch auf und ermunterte Roman weiter zu reden: „Wissen Sie noch, worum es in dem Roman, den Cora Ihnen zu lesen gab, ging?“
Roman dachte angestrengt nach. „Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, was Sie da von mir verlangen? Das liegt immerhin schon Jahre zurück. Alles, worauf ich mich noch besinne ist, dass es von einem Mädchen handelte, das mit seiner Vergangenheit abrechnete. Es gab viele Tote. Coras Schreibstil war zudem ziemlich verwirrend. Ich habe das Manuskript nur ihr zuliebe bis zum Ende gelesen.“
„Können Sie sich noch an den Titel erinnern?“
„Was Sie alles wissen wollen“, stöhnte Roman auf. Mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand massierte er nachdenklich seine Nasenwurzel. Minuten verstrichen. Henning hörte aus dem Nebenzimmer, von dem er annahm, dass es das Wohnzimmer sei, eine Westminsteruhr die vierte Stunde schlagen.
Endlich meldete sich Roman wieder zu Wort: „Ich bin mir da zwar keineswegs sicher, aber ich glaube der Roman trug den Titel: ›Von der Vergangenheit eingeholt.‹ Vielleicht auch: ›Flucht vor der Vergangenheit.‹ Ich weiß das wirklich nicht mehr so genau. Das einzige woran ich mich ganz sicher erinnere ist, dass das Wort Vergangenheit darin vorkam.“
„Haben Sie das Manuskript zufällig noch?“
„Tut mir Leid, aber ich habe es Cora wiedergegeben. Sie wollte verständlicher Weise von mir wissen, wie ich es fand. Ich wusste wie viel ihr das Schreiben bedeutete und wollte ihr daher nicht wehtun. Also verschwieg ich meine wahre Meinung, die wenig ermutigend ausgefallen wäre. Wissen Sie, ich lese nicht allzu viel. Aber wenn, dann muss es etwas Anspruchsvolles sein. Dostojewski oder Hesse, damit kann ich etwas anfangen. Ich riet Cora, eine Schreibwerkstatt aufzusuchen. Ich hatte in der Zeitung darüber gelesen. Dieser Gedanke schien ihr zu gefallen. Meines Wissens ging sie über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu den Treffen. Doch als der Leiter, ein pensionierter Schuldirektor plötzlich an Herzinfarkt starb, zerfiel die Gruppe.“
„Wissen Sie, ob Cora noch mit anderen ehemaligen Mitgliedern dieser Schreibwerkstatt in Verbindung stand?“
„Nicht, dass ich wüsste. Jedenfalls hat sie nie etwas Derartiges erwähnt. Ich glaube mich erinnern zu können, dass die anderen Teilnehmer allesamt schon ziemlich bejahrt waren. Wer weiß, ob sie überhaupt noch leben.“
„Schade!“, gab Henning seinem Bedauern darüber Ausdruck.
„Hat diese Schreibwerkstatt sich positiv auf Coras Schreibstil ausgewirkt?“
„Das war ja gerade das Schlimme! Ich hatte gehofft, dass man dort kritisch mit ihren Werken umgehen würde. Doch entweder besaß auch da niemand den
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