Grabeskaelte
eigentlich denken können. Aber da bist du auf dem Holzweg. Ich hab’ nichts mit dem Mord an Kirstin zu tun. Wann begreift ihr Bullen das endlich.“
„Ich will mich trotzdem mal dort umsehen. Unterwegs höre ich mir gerne Ihre Version der Geschichte an.“
Uwe zog eine Packung Zigaretten aus seiner Jacke hervor, zündete sich eine davon an und nahm einen tiefen Zug. „Schätze mal, mir bleibt wohl nichts anderes übrig.“
Er erzählte Henning von Maik und ihren nächtlichen Ausflügen. Gerade als Uwe bei seiner Version über jenen Abend, an dem sie gewaltsam in die Gruft eindrangen, angelangt war, erreichten sie die Friedhofspforte.
„Bevor Sie weiter sprechen, würde ich mir gerne vor Ort ein Bild machen wollen. Zeigen Sie mir bitte die Stelle?“ Uwe führte ihn hin. Das Grabmal sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Es war noch immer das größte und beeindruckendste auf dem ganzen Friedhof. Der aus Granit geschlagene Engel mit seinen gefalteten Händen sah wie eh und je mit entrücktem Blick zum Himmel. Nur die Blumen fehlten. Lediglich ein einzelnes, schon halb verwelktes Liliengesteck lag auf den Steinplatten über der Gruft. Uwe sah sich um. „Scheint alles beim alten geblieben zu sein.“ Er ließ seinen Blick schweifen. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen.
„Bis auf die Hecke da hinten“, er deutete auf eine dichte Fichtenhecke, die den Friedhof in nordöstlicher Richtung begrenzte, „die war damals noch nicht da. An der Stelle stand ein Zaun, hinter dem sich ein Haus befand. Ich weiß das noch, weil wir immer warteten, bis das Licht ausging und die Bewohner sich schlafen legten. Erst dann haben wir uns vorgewagt und uns ein ungestörtes Fleckchen gesucht.“
„Wissen Sie wer in dem Haus wohnte?“
Uwe zuckte gelangweilt mit den Schultern:„Keine Ahnung.“
„Also, dann lassen Sie mal hören, was genau geschah in jener Nacht?“ Uwe schien mit seinen Gedanken weit entfernt. Er stierte auf einen imaginären Punkt.
„Es war ein nebliger Abend Ende Oktober. Wir haben uns eine Zigarette nach der anderen reingezogen und uns Mut angetrunken.“
Henning nickte verstehend.
„Es muss kurz nach Mitternacht gewesen sein, da kamen wir dann hierher. Obwohl wir einen in der Krone hatten, war uns unheimlich. Ich weiß noch, dass ich mir einbildete, jeden Moment eine Gestalt aus dem Nebel auftauchen zu sehen.“
„Sie fühlten sich also beobachtet, Sie und Maik, meine ich. Glauben Sie, dass da noch jemand war? Bitte denken Sie genau nach. Das könnte wichtig sein.“
„Da war niemand. Jedenfalls zu dem Zeitpunkt noch nicht. Es war nur so ein Gefühl. Schätze wir haben zu viele Horrorfilme gesehen, das war alles.“
„Sind Sie da auch ganz sicher? Könnte Sie nicht doch jemand beobachtet haben, ohne dass Sie es merkten?“ hakte Henning nochmals nach.
„Möglich ist alles. Was weiß ich. Das ist jetzt schließlich über zwanzig Jahre her.“
„Na gut, erzählen Sie weiter.“
„Also wir schlichen uns an die Gruft heran. Ich hatte ein Brecheisen bei mir. Damit hebelten wir das Schloss hier“, er deutete auf das mit einer verrosteten Kette versperrte Tor, „auf. Dann hoben wir eine der Steinplatten an und ließen uns nach unten in die Gruft hineingleiten. Wir hatten unsere Taschenlampen dabei. Das erste, was wir sahen, waren mehrere Särge, die meisten schon halb verfault. Das war vielleicht ein gräulicher Anblick. Aber noch schlimmer war der Gestank. Mir war speiübel. Maik hat dann den Sarg, dem man ansah, dass er erst seit kurzem dort unten stand, mit dem Brecheisen bearbeitet. Er hat die Scharniere aufgebrochen und den Deckel aufgestemmt. Hat ganz schönen Lärm gemacht, das splitternde Holz, meine ich. Als er dann endlich so weit war, nahmen wir gemeinsam den Deckel ab. Ja, und da lag sie dann, die letzte der von Zwieloffs. Ich musste mich bei dem Anblick erst mal übergeben. Maik war härter im Nehmen. Ihn schien der üble Mief und der Anblick des verwesenden Leichnams nicht zu stören. Ich weiß noch, dass er sich ganz dicht über die Tote gebeugt hat, um eines ihrer Augenlider anzustrahlen und dann nach oben zu ziehen. Der Augapfel fehlte bereits. In dem gespenstisch klaffenden Loch hatten sich etliche Maden eingenistet. Den ekelhaften Anblick, des sich windenden Gewürms werd’ ich wohl nie mehr vergessen! Ich hatte genug, wollte Maik gerade klarmachen, dass ich verdufte, da hörte ich etwas. Zweige, die unter sich nähernden Schritten knackten, und das
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