Grabeskaelte
Mut ihr die Wahrheit zu sagen, oder sie ignorierte alle diesbezüglichen Hinweise. Cora konnte ziemlich dickköpfig sein, wissen Sie. Wenn sie sich einmal etwas vornahm, dann konnte kein Mensch sie davon abbringen.“
„Hat Cora Ihnen noch weitere Manuskripte zu lesen gegeben?“
„Ein zweites, ja. Ich weiß sogar noch wie es hieß: ›Johannisfeuer.‹ Das war offen gestanden noch dilettantischer geschrieben als das erste. Ich habe mich sehr schwer damit getan, es zu lesen. Nach zirka dreißig Seiten habe ich aufgehört. Ich konnte mich einfach nicht mehr dazu aufraffen weiterzulesen. Es ging um Hexenwahn und Okkultismus. Schon auf den ersten paar Seiten gab es jede Menge Leichen. Das war mir dann doch zuviel.“
„Haben Sie dieses Manuskript noch?“, fragte Henning hoffnungsvoll.
Wiederum schüttelte Roman den Kopf. „Tut mir Leid. Es lag lange Zeit auf meinem Schreibtisch. Irgendwann hat Cora wohl begriffen, dass ich es nicht zu Ende lesen würde. Eines Tages war es verschwunden. Wir haben nie wieder darüber gesprochen. Aber sie hat mir auch nie mehr etwas von sich zu lesen angeboten. Tut mir Leid, aber mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.“
„Das ist in der Tat nicht das, was ich gerne gehört hätte.“ Henning wagte einen letzten Vorstoß: „Erwähnte Cora Ihnen gegenüber jemals ihr letztes Buch? Ihr Mann zitierte sie mit den Worten es sei spektakulär. Sie war davon überzeugt, diesmal einen Verlag dafür zu finden. Haben Sie eine Ahnung, was sie damit gemeint haben könnte?“
„Nein, davon weiß ich nichts.“
„Sagt Ihnen der Titel: ›Um der Wahrheit willen‹ irgendetwas?“
Täuschte Henning sich, oder zuckte Roman bei der Erwähnung dieser Überschrift unmerklich zusammen? Wenn dem so war, dann ließ er es sich jedoch nicht anmerken.
„Um der Wahrheit willen“, wiederholte er stattdessen. „Nie etwas davon gehört.“ Seine Stimme hatte einen festen selbstsicheren Klang und Henning war davon überzeugt, sich das Ganze nur eingebildet zu haben.
„Na gut, wechseln wir das Thema“, schlug er vor.
„Wussten Sie, das Cora schwanger war?“
„Nein, davon hatte ich keine Ahnung. Ich habe es erst auf ihrer Beerdigung erfahren. Sie müssen wissen, dass ich für einige Tage verreist war. Ich werde mir wohl nie verzeihen, dass ich nicht zu Hause war, als die Tragödie sich ereignete.“
„Sie verreisen ziemlich oft, habe ich den Eindruck?“
„Stimmt, Reisen sind meine Leidenschaft. Meist buche ich Kurzreisen mit dem Bus. Aber einmal im Jahr zieht es mich auch in die Ferne, etwas Sonne auftanken solange es hier noch kalt und ungemütlich ist.“
Henning nickte. Wenn er aus dem Fenster sah, gegen das der Regen prasselte, konnte er Romans Beweggründe nur zu gut nachvollziehen.
Gedankenverloren trank Henning sein Glas aus. Mit den Worten: „Hier, für den Fall, dass Ihnen noch etwas einfällt, was wichtig sein könnte“, reichte er Roman eine seiner Visitenkarten, auf der auch seine Handynummer stand. Momentan fielen ihm keine weiteren Fragen ein. Er verabschiedete sich wenig später von Roman und wünschte ihm eine gute Reise.
Als er hinaus in den strömenden Regen trat, nahm er sich vor, in Zukunft sein Auto zu nehmen.
Diesmal schlug er den Weg den er gekommen war in entgegengesetzte Richtung ein. Sein Magen knurrte schon wieder. Außer den Würstchen hatte er seit Stunden nichts gegessen. Entschlossen lenkte er seine Schritte zum nächsten Supermarkt. Wenn er schon Ralphs Gastfreundschaft genoss, dann war es ja wohl nur recht und billig, auch seinen Teil beizusteuern. Er kaufte Brot, Butter, alles was er für einen leckeren Salat – seine Spezialität – benötigte, sowie Wurst, Käse und zwei Steaks ein.
Ralph war noch nicht zu Hause. Nachdem Henning sich seiner nassen Sachen entledigt hatte, packte er seine Einkäufe aus und verstaute sie. Er würzte die Steaks und briet sie sacht an. Als er gerade dabei war, einen Bund frischen Dill für den Salat klein zuschneiden, kam Ralph von der Arbeit nach Hause. Er sah erschöpft aus. Doch als er sah, welch leckeres Abendbrot auf ihn wartete, besserte sich seine Laune schlagartig. Er ging in den Keller, um eine Flasche französischen Rotwein zu holen. Wenig später ließen die beiden Männer sich Hennings leckere Steaks und den knackigen Salat schmecken. Die Flasche Wein war bald geleert und Ralph holte eine zweite.
Während er die Flasche entkorkte, rief Henning seinen Freund Rüdiger in Leipzig an, um sich nach dem
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